Miniserie

Hier geht‘s wirklich zu Kafka: Die ORF-Serie, die das fast Unmögliche schafft

Um den Schweizer Joel Basman als Kafka scharen sich viele österreichische Publikumslieblinge. Die gebürtige Schweizerin Lia von Blarer (Bild) spielt Kafkas Verlobte, Felice Bauer.
Um den Schweizer Joel Basman als Kafka scharen sich viele österreichische Publikumslieblinge. Die gebürtige Schweizerin Lia von Blarer (Bild) spielt Kafkas Verlobte, Felice Bauer.ORF/Superfilm
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Die Miniserie „Kafka“ von David Schalko und Daniel Kehlmann mit Nicholas Ofczarek und einer Unmenge weiterer fabelhafter Darsteller ist ein ernstes Spiel mit Leben und Werk Franz Kafkas: Über das Geheimnis ihres Gelingens.

„Ist etwas nicht in Ordnung mit der Nuss?“ Das ist die besorgte Variante einer wiederkehrenden Befremdung. Freund Max Brod klingt genervt: „Musst du so lang kauen, ist das wirklich nötig?“ Bei Kafkas Vater, Hermann, schließlich wecken die Essgewohnheiten des Sohnes nur mühsamst unterdrückte, rasende Wut: „I kan’s net mit ansehen – wia a Has!!!“ Dieser Kafka in der gleichnamigen, am 24. März anlaufenden Miniserie kann nerven. Nicht nur, wenn er zwischen „Fleischfressern“ Nüsse, Karotten und Ziegenkäse kaut, jeden Bissen (nach der Methode von Horace Fletcher) 40 Mal. Auch mit obsessiver Turnerei und seltsamen Bemerkungen. Und dann noch diese schnarrende Stimme, dieses meckernde Lachen. Trockenen Witz hat der junge Mann, auch Wärme, aber fast null Charme – den doch so viele dem realen Franz Kafka attestierten.

Nicholas Ofczarek – ein Kraftzentrum der Serie

Man kann den Mangel an Charme schnell verschmerzen. Joel Basmans eine Spur alienartig wirkender, aber humorvoller Kafka hat andere Vorzüge. Rund um ihn gruppieren sich so viele ausgezeichnete (österreichische) Schauspielerinnen und Schauspieler, dass man nicht weiß, wo man anfangen und enden soll – oder doch, bei Nicholas Ofczarek als Hermann Kafka: ein Kraftzentrum der Serie. Keiner ist so leibhaftig da wie er, ein beängstigender Choleriker, der gleichzeitig subtil auf der Klaviatur fremder Schuldgefühle spielt.

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Wenn es über einen Film heißt, er habe allen etwas zu bieten, ist das meist ein Grund zum Argwohn. Noch dazu, wenn dessen Gegenstand das schwierige Phänomen Franz Kafka ist, dessen Rezeption von teilweise geradezu esoterisch wirkender Sekundärliteratur bis zum diffusen Gefühl für als „kafkaesk“ geltende Situationen reicht.

Manchmal aber gelingt es tatsächlich, dieses „für alle etwas“. Die sechsteilige Miniserie, die der ORF anlässlich von Kafkas 100. Todestag als Koproduktion mit der ARD ab Sonntag ausstrahlt, verbindet Kafkas Leben und seine Texte so miteinander, dass mit diesen wenig oder nicht Vertraute ein Gespür für wesentliche Linien bekommen. Zugleich können auch „Kenner“ das Geschick und die Kunst dieser Verbindungen genießen, sich erinnern und anregen lassen. Und das auch noch – sehr unterhaltsam. Freiheit gönnt sich diese Produktion, sie hat etwas Verspieltes, auch in ihrer vielfältigen Ästhetik. Sie favorisiert den Witz – in allen Spielarten vom „Herumwitzeln“ bis zur bitteren Groteske –, ohne die Tragik dabei auszulöschen. Ja, sogar hauchzarte Idylle gibt es, wenn Kafka mit Milena Jesenská im Wienerwald spazieren geht (Liv Lisa Fries spielt sie berührend als eine auf freie Weise Kafka zutiefst zugewandte Frau). Dieses leichte und doch ernste Spiel kann ohne Trivialisierung oder grobe Entstellung nur gelingen, wenn sehr viel Wissen und Gespür für den Gegenstand als ständiger Kompass dient: mit dessen Hilfe Richtung und Nuancen ständig feinjustiert werden.

„Nein, man muss anders anfangen . . .“

Es ist das Verdienst von Drehbuchautor Daniel Kehlmann und Regisseur David Schalko. Sie hatten auch das Glück, einen leibhaftigen Kompass in der Person des deutschen Literaturwissenschaftlers Reiner Stach als Berater dabeizuhaben. Dessen in fast 20 Jahren Arbeit entwickelte dreibändige Kafka-Biografie ist als geballte Auskunft über Kafkas Leben und dessen Verschränkungen mit seinem Werk trotz der Flut an Sekundärliteratur konkurrenzlos. Auf ihr beruht diese Serie.

„Nein, man muss anders anfangen …“ – so lautet ein refrainartig wiederkehrender Satz des Erzählers in der Miniserie, der sich ab und zu kurz und dabei fast immer mit ironischem Unterton einschaltet: eine indirekte Einladung, jede dieser sechs Miniaturen, bei aller liebevollen Ausarbeitung und Komposition im Detail, als versuchsartigen Zugang zu Kafkas (Schreib-)Existenz zu sehen.

Vier der Folgen sind mit wichtigen Menschen in Kafkas Leben übertitelt – „Max“, „Felice“, „Milena“, „Dora“, dazu kommen „Familie“ sowie „Bureau“: ein Teil, der mit seinen Details über Kafkas Tätigkeiten an der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt, unter anderem Kriegsversehrte betreffend, auch Kafka-Vertrauten Neues bieten kann. Geschickt wird der Kompromiss aus Thematik und Chronologie organisiert, außerdem einiges an Zeitgeschehen eingebunden.

Kafka spricht viel in Eigenzitaten

Kafkas Werk ist dabei stets präsent: vor allem, weil der Autor sehr viel in Form von Zitaten aus seinen Briefen, Tagebüchern und Texten spricht; außerdem, weil die „Realität“ immer wieder in traumartig gezeigte Szenen aus Kafkas Werken gleitet (peinigend klar und ausgedehnt etwa jene aus der „Strafkolonie“). Immer wieder blitzt auch einmalig ein Element aus Kafkas Werk in die Realität hinein, so hängt etwa ein Plakat des „Naturtheaters von Oklahoma“ aus „Der Verschollene“ an einer Wiener Haltestelle. Und die zwei unheimlichen Männer, die schon auf Kafkas früher Italien-Reise vor ihm auf der Straße stehen, sie sind auch später immer wieder da. Und gehen erst mit Kafkas Tod . . .

„Kafka“: Die sechsteilige Miniserie läuft am 24. und 25. März in jeweils drei Folgen ab 20.15 Uhr auf ORF 1.

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