Und übrigens

Sie sind wütend? Aufschreiben und den Zettel wegwerfen!

Der Papierkorb, das beste Endlager für den Zorn.
Der Papierkorb, das beste Endlager für den Zorn.Imago
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Japanische Psychologen zeigen: Zorn wird man los, indem man über ihn schreibt und das Dokument des Unmuts vernichtet. Wir ergänzen: oder das Geschriebene publiziert.

Ach, unsere Wut! Wir könnten zornig werden, wenn wir daran denken, wie erbärmlich wir im Zustand des Zornes wirken. Schon Seneca hat es in „De Ira“ beschrieben: Der Zorn „lässt sich durch nichtige Ursachen zur Flamme entfachen“ und „setzt sich über allen Anstand hinweg“. Wenn er uns überwältigt, sind wir nicht mehr Herr oder Frau unserer selbst. Ein „zeitweiliger Wahnsinn“ also. Was dagegen tun? Das wirksamste Mittel sei „Aufschub“, empfiehlt der römische Philosoph. Nicht indem man gleich verzeiht, das wäre allzu viel verlangt, aber indem man sich ein „Urteil bilde“. Leicht gesagt! Der typische Tipp eines Stoikers. Für übliche Wüteriche hat die moderne Psychologie mit ihren Experimenten gezeigt: In der Hitze des emotionalen Gefechts schaffen wir es nicht, Abstand zu nehmen und die Situation neu zu bewerten. Die „kognitive Anstrengung“ wäre zu groß, wie es so schön heißt. Sich ablenken, an anderes denken? Hilft nur vorübergehend. Was also dann? Der japanische Forscher Nobuyuki Kawai rät nun zu Papier, Bleistift und Mülleimer (in Scientific Reports, 9.4.).

In seinem Experiment ließ er 50 Studenten seiner Nagoya-Universität einen kurzen Aufsatz schreiben, den ein Doktorand dann sehr schlecht bewerte und mit dem Kommentar versah: „Ich kann nicht glauben, dass eine gebildete Person so etwas denken kann. Ich hoffe, diese Person lernt etwas auf der Hochschule.“ Damit erzürnte dieser Rüpel erwartungsgemäß die Probanden. Sie durften sodann ihren Unmut zu Papier bringen, den Zettel zum Ball zerknüllen und wegwerfen. Und siehe da: Die Wut war weg, zur Gänze. Ein Schreddern des Zettels wirkte genauso. Aber die Kontrollgruppe, die das Dokument ihres Ärgers für sich auf dem Schreibtisch ablegte, wurde ihre Wut nicht los.

Das soll uns wohl signalisieren: Vergesst die Vernunft, nur magisches Denken hilft. Wir zerstören ein Objekt und entledigen uns damit eines anderen, wie beim Schadenszauber. Früher durchstach man Voodoo-Puppen (in Afrika und der Karibik) oder vernichtete bei uns die ganz ähnlichen Atzmänner, indem man sie einschmolz, am Spieß briet oder mit Gift bestrich. 1656 wurden magische Mordanschläge in Österreich zum Straftatbestand, und am Ende brannten statt Puppen angebliche Hexen. Da ist das Zettelschreddern natürlich harmloser, aber im Grunde genauso blöd. Gleich werden wir zornig!

Aber nein, wir bleiben stoisch. Und vertrauen darauf, dass es eine verfeinerte Form des Loswerdens geben kann: das Publizieren. Hier habt ihr meine Wut, sie gehöre fortan der Öffentlichkeit, auch damit bin ich davon befreit! Wie bei den Großen: Thomas Bernhard entfaltete seinen Furor schreibend, auch in den Briefen an seinen Verleger Siegfried Unseld. Aber wir wissen aus dieser kuriosen Korrespondenz: Wenn sich die beiden trafen, war der Berserker der Feder lammfromm. Auch wer Elfriede Jelinek kennt, versichert: eine ruhige, entspannte, geradezu sanfte Frau. Und falls ihr geschätzten Leser noch nicht das Vergnügen mit uns von der „Presse“ hattet: Mögen wir in Rezensionen und Glossen noch so wüten – privat sind wir ganz reizend.

Email: karl.gaulhofer@diepresse.com

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