Die Eurokraten sollen sich, bitte, eine längere Auszeit nehmen!

Wünsche einfacher Bürger an die EU werden erbeten. Solange sie Utopie bleiben, hätten wir gern zwei radikale Maßnahmen durchdacht.

Dem Auftrag unserer EU-Abteilung konnte ich diesmal am Freitag nach eins nicht einmal im hintersten Winkel des Gegengift- Büros entkommen. Es müsse ein Ruck durch den Kontinent gehen, deshalb sollten wir gefälligst Wünsche an die Europäische Union formulieren. Das nennt man gelebte Subsidiarität. Mögen die Kommissare weiterhin Sonntagsreden halten, für das tägliche Problembewusstsein sorgen wir selbst.

Eine Warnung zuvor: Wünsche sind doch auch deshalb so schön, weil sie unerfüllt bleiben dürfen. Deshalb haben Kommission, Rat, Parlament, Generalsekretariat und Ständige Vertretung des Gegengifts in Erdberg sich nicht mit Kleinkram wie der in zehn Jahren harter Bürokratie erarbeiteten Schnullerkettenverordnung beschäftigt, die sich in acht Kapiteln und 40Abschnitten über mehr als vier Dutzend Seiten erstreckt, sondern wir denken ausnahmsweise einmal richtig groß, hart an ideologischen Limits und gefährlich strategisch. Vorsicht, Satire! Es wird ja ohnehin nichts mit der einheitlichen Gegengift-Akte.

Zwei Vorschläge also. Erstens: Die EU soll sich, bitte, ein Jahr Auszeit nehmen! Keine neuen Richtlinien oder Verordnungen, keine Gipfel, kein Jetlag, nicht einmal bilaterale oder interne Telefonate für ein ganzes Jahr. Große Ferien! Die Eurokraten machen Pause. Vor jedem Amt hängt ein Schild: „Wegen Nachdenkens bis 25.Mai 2015 geschlossen. In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an Washington, Moskau oder unsere nationalen Subkulturen.“

Ich frage mich wirklich, was dann passierte. Wäre das ein Rückschritt oder ein Fortschritt? Zumindest würden die Bürger bald ziemlich genau wissen, welche Institutionen dringend notwendig sind, welche sie vermissen und welche tatsächlich entbehrlich wären. Liebe Leser: Würde es Sie vergrämen, wenn die EU-Agentur für Grundrechte mit Sitz in Wien für ein kurzes Jahr keine Verlautbarung aussendete? Würde sich die Situation der Flüchtlinge vor Lampedusa dramatisch verschlechtern, wenn sich Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso erst wieder im kommenden Frühling besorgt über ihre Misere zeigt? Wir werden es so bald nicht erfahren.

Deshalb ganz radikal zu Anregung Nummer zwei. Darf man sich wünschen, dass Europa wieder geteilt werde? Diesmal nicht in Ost und West, sondern in Nord und Süd, damit der ermüdende Grundsatzstreit über soziale Gerechtigkeit dann praktisch geklärt ist. Die Neoliberalen erhalten das „Freie Europa“ (FU) der Ausbeutung mit Sitz in Frankfurt am Main, die Verteidiger des Sozialstaates das „Gute Europa“ (GU) auf Pump mit den Zentralen in Madrid, Rom und Athen. Beide Gebilde dürfen ihre gesellschaftlichen Fantasien enthemmt ausleben. Davor sollte man sich gar nicht fürchten – denn beide Gruppen behaupten doch, das bessere System zu haben. Sollen sie es eben beweisen. Und jeder Europäer hätte dabei die freie Wahl für eine Union nach seiner Façon.

Es ist nur ein Gedankenexperiment – doch wo würden dann Sie leben wollen? In Mallorca als Rentner oder doch als Börsianer am Main, dem dann aber mediterrane Strände verwehrt sind? Ich zöge wahrscheinlich hoffnungsfroh in den steirischen Süden, recht nah an die Staatsgrenze des GU-Mitglieds Kärnten.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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