Festwochen: Kommunismus, Kindesmissbrauch und Korruption in Ungarn

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Béla Pintérs Drama „Titkaink“ nähert sich heiklen Themen wie in der Operette. Das Ergebnis ist originell bis volkstümlich.

Das Bühnenbild entspricht der Botschaft, die das Schauspiel „Titkaink“ („Unsere Geheimnisse“) vermittelt. Es wird geklotzt in Béla Pintérs Drama, das am Sonntag in Wien Premiere hatte: Ein altes Tonbandgerät grenzt die Spielfläche hinten fast völlig ab. Es nimmt über Riesenspulen bedächtig all das auf, was vorn geschieht, im Budapest der Achtzigerjahre, in der Endphase des Gulasch-Kommunismus: Seht her, damals wurde systematisch abgehört, jeder Verdächtige wurde bespitzelt in 32 Jahren unter János Kádárs KP-Regime, das 1956 blutig begann.

Und am Ende, nach eineinhalb Stunden Aufführung in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln? Da erfährt man durch den zynischen kurzen Epilog, dass die Situation in Ungarn heute unter dem vom Liberalen zum repressiven Nationalisten gewandelten Premier Viktor Orbán nicht viel besser geworden ist. Die Spitzel und Opportunisten von einst sind wieder an der Macht, die Unterdrückung hat nur andere Formen angenommen. Bitterböse ist das Fazit, welches der Autor, Regisseur und Schauspieler mit seiner bemerkenswerten Truppe aus Budapests freier Szene zieht. Dass die musikalisch begleitete Aufführung, die zum Großteil in einem Tanzhaus spielt, auch wie eine Operette und trotz der deprimierenden Thematik seltsam erheiternd wirkt, unterstreicht das Böse nur. Hier erlebt man eine gehörige Portion Sarkasmus, die gnadenlos mit flotter Volksmusik aus der Puszta umrahmt wird.

Der Dissident liebt die Funktionärin

Die Handlung: Gleich zu Beginn gesteht der Musiker István (Zoltán Friedenthal) einer Psychiaterin, dass er sich zur siebenjährigen Stieftochter hingezogen fühlt. Die Lust auf seine Frau ist erkaltet. Auch ein zweites Paar hat Probleme: Imre (Béla Pintér), der als Tanzlehrer für Volksmusik erfolgreich ist, liebt (aus Triebhaftigkeit, wie er einmal sagt)die überzeugte Kommunistin Bea. Imre schreibt für ein Untergrundblatt, sein musikalisch hochbegabter, sensibler Sohn hasst die Neue im Leben des Vaters. Das System weiß bereits alles: Von der Samisdat-Zeitschrift „Eiserner Vorhang“, von den pädophilen Neigungen des Musikers. Im Tanzhaus gibt es Spitzel. Auch István wird angeworben, er soll den regimekritischen Freund ans Messer liefern. Zudem macht ihm ein hoher Politiker, der ihm sogar den Kossuth-Preis zukommen lässt, sexuelle Avancen. Dieser István ist übel dran – Opfer und Täter zugleich. Er zieht am Ende, als er sich an jenen, die ihm nahestehen, vergangen hat, drastische Konsequenzen.

Die fast finale Szene ist typisch für die Inszenierung dieses Theatermachers, er zeigt den Ernst in der Farce. Wie bei Ritterspielen möchte man rufen: Noch einmal! Pintérs Kritik erfolgt häufig mit dem Holzhammer. Die Szenen des Missbrauchs sind nur angedeutet, aber dennoch explizit. Imres Sohn sagt herablassend über Volksmusik, dass sie zu sehr auf simple Klänge in Moll baue. Das gilt auch für „Titkaink“. Eine Vielzahl komplexer Zusammenhänge wird oft auf bloßen Effekt reduziert. Das Ganze wirkt oft belehrend, manchmal laienhaft – und vor allem auch irritierend, wenn es um die Charakterzeichnung von István geht. Diesem freundlichen Unhold gilt ausgesprochen viel Mitleid.

Der Triumph der Angepassten

Gnadenlos gezeichnet sind hingegen die Opportunisten, die politischen Täter und ihre Mitläufer. Bei ihnen werden die Mittel des Lehrstückes sinnvoll und effektiv eingesetzt. Eszter Csákányi brilliert als hoher Funktionär, Szabolcs Thuróczy gibt einen brauchbaren Spitzel, Zsófia Szamosi die überzeugte Mitläuferin. Solche Typen überdauern fast jeden Systemwechsel, und mit etwas Geduld machen sie sogar eine zweite, rechte Karriere. Der Schluss von „Unsere Geheimnisse“ ist hoffnungslos, aber nicht wirklich ernst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2014)

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