Jetzt befürchtet auch Belgrad Überflutungen

(c) REUTERS (SRDJAN ZIVULOVIC)
  • Drucken

Während an manchen Orten schon die Toten gezählt werden, baut man in Belgrad dem Schlimmsten vor. Sorge herrscht auch um Serbiens größtes Kraftwerk. In Bosnien mussten 500.000 Menschen ihre Häuser verlassen.

Belgrad. Der Sonnenschein suggeriert Sicherheit, doch sie trügt. Auch wenn die extremen Regenfälle vorbei sind, in manchen Gebieten Bosniens und Serbiens steht das Schlimmste erst bevor. Und wenn am Mittwoch laut Wetterprognose 30 Grad erreicht werden, soll die Save in Belgrad ihren historischen Höchststand erreichen.

Während im bisher besonders betroffenen Obrenovac 30 km westlich immer mehr Leichen geborgen werden (in ganz Serbien waren es, Stand Montagnachmittag, 19 Todesopfer, in der Region mehr als 40), baut man in Belgrad und andernorts der Katastrophe vor. Am alten Hafen der Hauptstadt, wo es am Sonntag von hunderten Freiwilligen wimmelte, herrschte Montag eine gespenstische Ruhe. Der Wall aus Sandsäcken steht. Ob er ausreicht? „Wir werden sehen“, gibt sich Igor, der an der Uferstraße ein kleines Fahrradgeschäft betreibt, gelassen: „Jedenfalls ist der Schutz besser als 2006“, meint er. Von seinem Stuhl aus kann er das Ansteigen der Save beobachten. Der Fluss hat sich in eine braune Brühe verwandelt, deren Farbe makaber mit dem Rost der abgewrackten Schiffe harmoniert. Ab und zu schwimmen undefinierbare Objekte vorbei.

Die fieberhaften Schanzarbeiten haben sich verlagert, vor allem gilt es, das dicht bewohnte Neu-Belgrad zu schützen. Hektisch geht es auch im Hotel Slavija zu, einem der Sammelzentren für Hilfsgüter. Ein Mann beschwert sich über schlechte Organisation. Er wolle nach Obrenovac, um mitanzupacken, aber es gebe weder Informationen noch einen Shuttlebus. In seinem Furor überhört er, dass ihm längst eine Telefonnummer genannt wurde, unter der er sich registrieren lassen kann. „Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend“, sagt eine junge Rotkreuz-Mitarbeiterin, und wie zur Illustration trägt ein Bursch eine Ladung Hygieneartikel vorbei. Trotzdem scheint die Liste dessen, was dringend benötigt wird, kaum aufzuhören: „Sachen für Babys, also Kleidung, Nahrung, Milch, Schuhe, dann Seife, Duschgel, Klopapier, Zahnbürste, Wasser, Konserven.“ Mit einem Wort: alles.

Wasser wütet stärker als Armee

In und um Obrenovac blieb die Lage am Montagabend kritisch: Nachdem die Dämme in der Nähe der Stadt an drei Stellen durchgebrochen waren, wurde zunächst die Evakuierung der nächstgelegenen Ansiedlung mit 300 Menschen angeordnet. Die Armee setzte dabei mehrere Hubschrauber ein. Offenbar hat man aus den Vorwürfen, im Falle Obrenovac zunächst zu zögerlich vorgegangen zu sein, gelernt. Binnen 20 Stunden wolle man alle Menschen aus den gefährdeten Gebieten in Sicherheit gebracht haben, kündigte Innenminister Nebojsa Stefanovic am späten Nachmittag die völlige Evakuierung an, auch wenn diese sich "nicht binnen 15 oder 20 Minuten abspielen kann". Gleichzeitig versuchten die Behörden zu beruhigen: Es gehe diesmal nicht um einen Wettlauf mit der Zeit.

Meldeten die Behörden in Serbien am Montag gut 25.000 Evakuierungen, so waren es in Bosnien und Herzegowina bereits 500.000 Menschen, die ihre Häuser verlassen mussten, eine Million, also fast ein Viertel der Bevölkerung, war ohne Zugang zu Trinkwasser. Auch wenn sich die Regierung in Sarajewo nicht auf Opferzahlen festlegen wollte, hielt man am Montag laut Medienberichten bei 18, fast alle im serbischen Landesteil Republika Srpska. In nur drei Tagen hätten die Fluten Schäden angerichtet, für die eine Armee Monate brauchen würde, wurde Außenminister Zlatko Lagumdžija zitiert. Zudem droht nun speziell in Bosnien zusätzliche Gefahr durch weggespülte Minen. Aber auch von den zahlreichen Tierkadavern geht ein gesundheitliches Risiko aus, weshalb die Behörden bereits mit deren Entfernung begonnen haben.

Und die Opferzahlen dürften weiter steigen, in Bosnien wie in Serbien, wo rund 100 Menschen am Montag als vermisst gemeldet waren. Sorgen bereitet den Behörden hier auch das Kohlekraftwerk Nikola Tesla nahe Obrenovac, das etwa die Hälfte des serbischen Stromes produziert. Sein Totalausfall hätte katastrophale Folgen.

Bischof: Wurst ist schuld an der Flut

Unvermeidlicherweise hat sich nun auch der für seine mitunter extremen Ansichen berüchtigte serbisch-orthodoxe Metropolit Amfilohije (zuständig für Montenegro) zu Wort gemeldet. Er hat als Ursache für die Flut Conchita Wursts Sieg beim Song-Contest ausgemacht: Dies sei ein "Zeichen, dass uns Gott liebt" und dass er die Menschen erfahren lasse, wie sie wieder auf den rechten Weg zurückkehren können, zitierten ihn am Montag gleichlautend mehrere serbische Medien.

SPENDEN

Hilfswerk Austria International: Bawag PSK. IBAN: AT71 6000 0000 9000 1002. BIC: OPSKATWW. Kennwort: Hochwasser Bosnien.

Caritas: Erste Bank. IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560. BIC: GIBAATWWXXX. Kennwort: Hochwasser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Noch immer müssen sich Bewohner mit Sandsäcken vor dem Wasser schützen.
Weltjournal

Hochwasser: Kroatien hilft Bosnien und Serbien

Obwohl Kroatien selbst schwer von dem Hochwasser betroffen ist, wurde ein Hilfspaket von 100.000 Euro für Bosnien und Serbien beschlossen.
Weltjournal

Bosnien: 19 Häftlinge aus überschwemmtem Gefängnis geflüchtet

Die Häftlinge sind inzwischen wieder festgenommen worden. Kritik an den bosnischen Behörden wird indes immer größer - sie hätten nicht rechtzeitig auf die starken Regenfälle reagiert.
Weltjournal

19 EU-Staaten helfen Serbien und Bosnien

Insgesamt 19 EU-Staaten helfen beim Wiederaufbau nach den heftigsten Regenfällen seit 120 Jahren. Auch Papst Franziskus hat zur Opferhilfe aufgerufen.
Hochwasser, Serbien, Balkan
Weltjournal

Hochwasser: Hilfswelle nach Flut eint Balkan

Neben Heeren professioneller Retter sind zehntausende Freiwillige im Einsatz. Nicht nur in Serbien zieht die gebeutelte Gesellschaft an einem Strang.
Ein Bild aus Bosanski Samac in Bosnien-Herzegowina.
Weltjournal

Belgrad bereitet sich auf Anstieg des Donau-Pegels vor

In der Nacht auf Dienstag mussten in Kroatien, Bosnien und Serbien erneut viele Menschen vor den Wassermassen flüchten. Österreich hilft mit einer Mio. Euro.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.