Flexible Arbeitszonen: Aufgestanden!

Stundenlanges Sitzen macht krank. Moderne Bürodesigner wollen Abhilfe schaffen und entwickeln flexible Arbeitszonen mit dem Ziel, für mehr Bewegungsimpulse zu sorgen.

(c) Neudoerfler
(c) Bene

„Sitzen ist das neue Rauchen“. Mit diesem Titel sorgten die Macher einer TV-Dokumentation für den deutschen Nachrichtenkanal ntv für Furore. Zu Recht, wie es scheint. Wirft man einen Blick auf aktuelle Studien zu den Konsequenzen stundenlangen, ununterbrochenen Sitzens am Arbeitsplatz, dann zeigen sich massive Risken: Es drohen Wirbelsäulenprobleme, Stoffwechsel- und Krebserkrankungen.

Eine Studie der Universität Leicester brachte dazu alarmierende Details zutage: Langes Sitzen führt demnach zu einer Verdoppelung des Risikos für Diabetes und einer signifikant erhöhten Gefahr für Herz-Kreislauf- Erkrankungen. Als Basis wurden die Ergebnisse von 18 Untersuchungen analysiert, bei denen 800.000 Testpersonen einbezogen waren. „Der durchschnittliche Erwachsene in Europa verbringt zwischen fünfzig und siebzig Prozent seines Lebens im Sitzen. Umso wichtiger ist es angesichts dieser Ergebnisse, diese Phasen deutlich zu reduzieren, beziehungsweise den Alltag so zu strukturieren, dass man immer wieder die Position ändert, ein paar Schritte geht, etwas auch im Stehen erledigt“, so Emma Wilmot, Autorin der Studie und Spezialistin für Stoffwechselerkrankungen.

Versessen aufs Sitzen. Ein durchschnittlicher Büroangestellter sitzt in seinem Arbeitsleben 55.000 Stunden an seinem Schreibtisch, steht hingegen nur 3000 Stunden und ist 6500 Stunden in Bewegung. Die moderne Büroarchitektur will dies ändern: Statt starrer Bildschirmarbeitsplätze sollen flexible Arbeitszonen natürliche Bewegungsimpulse wieder wecken. Die Architektin Isa Stein hat ein Paradebeispiel für ein solches Umfeld beim Neu- und Umbau der Zentrale der Firma Internorm in Traun/OÖ gestaltet. Ihr Konzept für das Büro der Zukunft sorgt für die nötige Elastizität der Umgebung. Neben Büros, in denen zwischen zwei und vier Personen Platz finden, lockern Zwischenzonen die starre Struktur auf. Rote Sitzbänke mit hochgezogenen Lehnen bieten hier Rückzugsräume, Stehpulte an den Kaffeebars Kommunikationsoasen.

„Bevor wir mit dem Umbau begannen, war es üblich, dass in den Büros sogar Kaffeemaschinen und Kühlschränke standen. Man brauchte sich deshalb nicht einmal zum Essen hinzubewegen“, so Stein. Zu viel an Bewegung sei allerdings auch nicht adäquat, betont sie. Pioniere in der Büroinnenarchitektur experimentierten mit radikalen Lösung von völlig flexiblen Büros, in denen Mitarbeiter ihre Siebensachen auf Trollys laden und sich je nach Bedürfnis, Lust und Laune einen Sitzplätz wählen. „Das erwies sich als Fehlschlag. Menschen brauchen ihre Reviere. Und sie benötigen noch etwas, um sich im Büro gesund und vor allem wohlzufühlen: Ruhe. Lärm zählt also zu den größten Störfaktoren“, betont Stein.

Stehung statt Sitzung. Um ein Fünftel stiegen die Baukosten angesichts eines Projekts, bei dem auf 5000 Quadratmetern 320 Arbeitsplätze entstanden. Firmenchefin Anette Klinger hat dies gern in Kauf genommen: „Am Anfang sorgte die neue Umgebung für eine gewisse Unruhe. Viele Mitarbeiter kamen mit den offenen Glasflächen nur schwer zurecht.“ Mittlerweile wurden Folien geklebt und ein neuer, zügiger Takt bestimmt den Alltag. „Wir führen wesentlich mehr Stehungen durch. Die sind deutlich effizienter als Sitzungen. Dazu ist spürbar, dass die Kreativität steigt“, so Klinger. Wilfried Lechner, Marketingleiter des Büromöbelherstellers Neudoerfler Office Systems, kann dies mit konkreten Zahlen untermauern. „Um 36 Prozent steigt die Effizienz von Mitarbeitern, wenn in individuelle Planung, Ergonomie, Farbe, Licht, Raumgestaltung und Akustik investiert wird.“ Allerdings werden lediglich zwei Prozent des Budgets eines Unternehmens in diese wertvolle Struktur investiert. Ein Umdenken sei jedoch spürbar, wie Lechner betont. So müssten aus Kostengründen in vielen Unternehmen mehr Mitarbeiter mit weniger Platz zurechtkommen. Womit die Notwendigkeit steigt, die engeren Räume so angenehm wie möglich zu gestalten und auch Rückzugsräume einzuplanen. „Wir haben im Vorjahr eine Umfrage unter heimischen Managern durchgeführt, die Hoffnung macht: Um Krankenstände zu minimieren, wird in die Arbeitsplätze investiert.“

Ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung flexibler Büros sei es, die Ergonomie nicht aus den Augen zu verlieren: „Dem haben wir uns angepasst und etwa Tische entwickelt, bei denen die Höhe elektrisch verstellt und gespeichert werden kann. Nutzen mehrere Arbeitskräfte denselben Schreibtisch nacheinander, kann die jeweils ideale Tischhöhe per Knopfdruck eingestellt werden.“

Büro als Dialogfeld. Von ähnlichen Anpassungsherausforderungen des neuen Büroalltags berichtet Michael Fried, Vorstand für Marketing beim Büromöbelhersteller Bene. „Heute nutzen Solution Worker – so nennen wir die lösungsorientierten Wissensarbeiter – nicht nur den eigenen Schreibtisch, sondern das gesamte Büro mit vielfältigen Zonen und Bereichen. Ganz nach dem Motto: ‚Choose the place you need‘. Sie machen das Büro zum Dialogfeld, zur sozialen Plattform.“ Dafür habe man mittlerweile entsprechende Möbel kreiert. „Polstermöbelsets bilden beispielsweise einen Raum im Raum und schirmen Gesprächssituationen ab. Zugleich sind sie offen genug, um die Nutzer am Geschehen rundherum teilhaben zu lassen.“ Mit Impulsen für die Bewegung durch das Unternehmen ist es allerdings noch nicht getan. Um den Büroalltag so gesund wie möglich zu gestalten und die krankmachende Dauerbelastung zu durchbrechen, ist es ebenfalls nötig, Pausen einzulegen. Und zwar oft. Dazu erläutert die Psychologin Kristina Hutterer vom Institut für Arbeitsmedizin der Med-Uni Wien: „In Studien über Bildschirmtätigkeit zeigte sich, dass eine fünfbis zehnminütige Pause pro Stunde Erschöpfung und gesundheitliche Beschwerden am besten reduzieren kann. Ohne dass darunter die Produktivität leidet.“ Es sei demnach möglich, mit solchen kleinen Änderungen motivierte und innovative Mitarbeiter zu haben, die langfristig arbeitsfähig sein werden und das Knowhow des Unternehmens erhalten können.

Zwangshaltung macht krank. Immerhin stieg während der vergangenen zehn Jahre die Anzahl der Frühpensionierungen um ein Fünftel. Hauptursache: Erkrankungen des Bewegungsapparats und psychische Leiden, allesamt Folgen von Zwangshaltungen im weitesten Sinn.

Wer übrigens meint, den bewegungsarmen und pausenfreien Alltag durch Aktivitäten in der Freizeit ausgleichen zu können, irrt. Das Team um Elin Eklbom-Bak des Karolinska- Instituts in Stockholm hat in einer Studie gezeigt, dass Ausgleichsport in der Freizeit nicht reicht, um die Folgen von stundenlangem Sitzen im Job abzuschwächen. Die negativen Folgen für Stoffwechsel und Blutkreislauf können so nicht abgefangen werden.

Gesunde Tipps.

Entscheidend für die Vermeidung von Zwangshaltungen und somit für die Gesundheit im Büro ist vor allem das richtige Mobiliar und die richtige Haltung vor dem Bildschirm. Dazu schreibt das Gesetz auch exakte Normen vor. Wie ein korrekter, wohltuender Arbeitsplatz aussehen kann und welche Übungen einem guttun, ist in einer Broschüre der Allgemeinen Unfallversicherung erklärt. www.auva.at/

Wer sich bewegt, sorgt dafür, dass die Bandscheiben durch den Wechsel von Druck und Entlastung gut durchblutet werden. Beim längeren Sitzen büßen sie hingegen an Elastizität ein. Bewegung muss übrigens nicht Turnstunde heißen. Schon beim Gehen massieren die Wadenmuskeln die Beinvenen. Ein angenehmer Effekt nach Phasen von langem Sitzen. Gehen ist die natürlichste Bewegungsform des Menschen; über Jahrtausende hat sich unser Körper daran angepasst. Noch vor einem Jahrhundert legte jeder zwischen 15 und 20 Kilometer pro Tag zu Fuß zurück. Der Wechsel zwischen Arbeitszonen im Büroalltag wird nicht dazu führen, dass man auf solche Distanzen kommt. Aber es ist ein Anfang, Drucker, Kopierer oder Kaffeemaschine möglichst weit weg vom Schreibtisch zu platzieren.

Richtig Pause machen gilt als ein weiterer wesentlicher Gesundheitsfaktor im Büroalltag. Ein paar Minuten reichen aus, entscheidend ist, sich diese Minuten regelmäßig und oft zu gönnen. Sinnvolle Wohlfühlphasen bestehen darin, dass einfach eine andere Haltung eingenommen wird als während der Arbeit. (Private Mails zu checken würde nicht darunterfallen).

Zu Verspannungen und massivem Stress führen ebenfalls falsches Licht und zu viel Lärm. Selbst in Großraumbüros lässt sich mit Akkustikschränken und lärmschluckenden Plafonds der Geräuschpegel massiv senken.
Beim Licht gilt, dass der richtige Einfallswinkel bedacht (siehe Broschüre), aber auch, dass das Bedürfnis nach Rückzug (Glaswände) nicht außer Acht gelassen wird.

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