Innere Stadt: Und nennt ihn nie City!

Archivbild: Der Wiener Stephansdom
Archivbild: Der Wiener StephansdomAPA/HELMUT FOHRINGER
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Der erste Bezirk verliert manche seiner eingeschworenen Bewohner und an Charakter. Die Innenstadt, bürgerlich-dörflich, wird zur Walt-Disney-City mit Sprudel.

Wien. So fühlt sich also Gentrifizierung an. Die Bücherkisten sind fast alle gepackt, die Bilder längst übersiedelt, die Küche, in der die Schulzeit verbracht wurde, bleibt leer zurück. Man muss schon an einem Sonntagabend auf eine Autobahnraststätte fahren, um sich so melancholisch stimmen zu können. Allein: Draußen, auf den Tuchlauben, pulsiert das Leben. Die Eltern geben ihre Stadtwohnung auf, ziehen dorthin, wo sie in Wahrheit schon seit Jahren leben. Diese Mietwohnung und eine weitere in der Weihburggasse machten mich dreizehn Jahre zum Innenstadt-Bewohner. Und das bleibt man dann auch irgendwie. Nicht nur, weil es so schön, prestigeträchtig und – vor allem für überzeugte Fußgänger – praktisch ist. Sondern weil man als Innenstadt-Bewohner zu einer ganz besonders skurrilen Spezies gehört.

Man erkennt und grüßt einander, wenn man im Ersten wohnt. Genau so, wie wenn man eine seltene Automarke fährt. Man weiß, wo man einkauft und wo nicht. Man geht in bestimmte Lokale (Korb) und andere niemals (Delias nebenan). Man wird nie von Touristen-Konzert-Keilern angesprochen. Man bewegt sich schneller als jeder andere durch die Fußgängerzonen, wenn man ihnen denn nicht ausweichen kann. Man weiß genau, an welchen Tagen und auf welchen touristischen Trampelpfaden kein Durchkommen ist (Samstagmittag Hoher Markt, Anker-Uhr). Man weiß, wann man die Stadt besser verlässt (Stadtfest, August, Adventsamstage). Man kauft und bringt sein Toilettenpapier mit erhobenem Haupt nach Hause, auch und gerade wenn man an der Neigungsgruppe Aperol aus Wien-Döbling vorbeigeht.

Und noch gibt es im größten Schanigarten des Landes, dem ersten Bezirk, kleine weiße Flecken. Man erkennt blind jeden, der hier arbeitet, aber nicht lebt. Das ist der unschätzbare Vorteil eines Dorfes. Die, die nicht im ersten Bezirk leb(t)en, können das alles niemals verstehen. Sie sind und bleiben Touristen. Und ja, dafür reichen ein paar Gassen Unterschied. Ein Innenstadt-Bewohner würde sich auch nie anmaßen, Heinz Fischers Gespür für die Josefstadt zu hinterfragen.

Natürlich wird man für eine doch etwas kauzige städtische Lebensart von der erdrückenden Mehrheit der Wiener, der Bundesländer-Wiener und vor allem der Umland-Wiener irgendwo zwischen spleenig, spießig und Hofratswitwe schubladisiert. Wenn man nicht jedes Stadtfest, jedes Konzert und jeden Umzug durchs eigene Schlafzimmer so großartig findet. Wenn man glaubt, dass man auch im ersten Bezirk mit Familie, Kind, Hund und Auto leben will. Doch das wurde in den vergangenen Jahren definitiv schwerer.

Obwohl die Mietpreise dazwischen schon wieder sanken und teils noch sinken, wurde der Erste irgendwann unerschwinglich. Die Russen kamen, kauften, gingen teils wieder, aber ließen ihre Frauen und Töchter in der Stadt mit der hohen Lebensqualität zurück. Verkäuferinnen lernten Russisch – nicht nur in den Boutiquen. Und natürlich passierte im ersten Bezirk das, was überall in den Innenstädten europäischer Metropolen passierte: Die alten Geschäfte – die Antiquariate, die Buchhandlungen, die Haushaltswaren-Fachgeschäfte – verschwanden, die Luxusmarken von René Benko, aber auch die Nichtluxusmarken kamen. Es gibt immer weniger, die man vom Dorfplatz kennt. Immer mehr, die einen nicht mehr als Innenstadtbewohner erkennen. Sogar André Heller denkt über einen anderen Bezirk nach.

In der Geiselhaft des Lodenmantels

Daher sind Innenstadtbewohner auch immer ein wenig zwiespältig, wenn es um Ursula Stenzel ging. Die Innenstadt-Bezirksvorsteherin kämpfte stets dagegen an, dass der gesamte Bezirk zum Rathausplatz und zum Ausflugsziel umfunktioniert wird. Doch die Quotengarantin für Lokaljournalisten formulierte ihre Forderungen so übertrieben und unzeitgemäß, dass man sich plötzlich in Geiselhaft des Lodenmantels befand. Und dafür ist die Atmosphäre im Ersten wieder zu offen und weltstädtisch. Ausgelacht will man auch nicht werden. Die Wiener ÖVP grübelt bis heute darüber, warum ihre Sprache und ihre Anzüge nicht mehr zu den jungen Bürgerlichen der Stadt passen wollen. Der raue Abschied von Stenzel passt ins diffuse Bild.

Wenn man es ruhig wolle, dürfe man nicht im Ersten wohnen, meinte Wien-Tourismus-Direktor Nobert Kettner jüngst sinngemäß. Da der Mann selbst der ideale Innenstadtkandidat ist, weiß er natürlich: Wenn man es sehr laut will, zieht man nach Manhattan, nicht in die Wiener Innenstadt. Und jetzt wird es innenstädtisch: Genau genommen gibt es keinen homogenen ersten Bezirk. Wer im Textil- und Börsenviertel lebt, glaubt tatsächlich an Ruhe in der Stadt. Wer in der Franziskanerplatz-Gegend wohnt, muss aus der Wohnidentität eine kleine Wissenschaft machen, so laut tönt die Kärntner Straße herüber. Wer um die Herrengasse wohnt, verachtet den Begriff „Regierungsviertel“ und liebt die Weinbar im ersten Hochhaus der Stadt. Wer auf den Tuchlauben lebte, setzte nie einen Fuß ins Bermudadreieck. Das gibt es übrigens nicht mehr. Und vor allem: Niemand, absolut niemand sagt „City“.

Serie: Wiens Bezirke

Bis zur Wien-Wahl am 11. Oktober porträtiert die ''Presse'' nach und nach alle 23 Wiener Bezirke. Die bisherigen Porträts finden sie unter diepresse.com/bezirke

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16. Mai 2015)

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