Direkte Demokratie kontra europäische Bürgerinitiative

Modell für direkte Demokratie
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Bürgerbeteiligung. Die Schweiz ist Mutterland der Demokratie, während der Verdruss über mangelnde Mitsprachemöglichkeit in der EU groß ist.

Wer hervorstechende Unterscheidungsmerkmale zwischen der Europäischen Union und der Schweiz sucht, wird wohl schnell auf den differierenden Grad politischer Mitbestimmung durch den Bürger stoßen: Die Alpenrepublik ist das Mutterland der direkten Demokratie, während der größte Kritikpunkt an der Union die mangelnde Mitsprachemöglichkeit an den weitreichenden Entscheidungen in Brüssel ist.

Das zeigte sich zuletzt auch bei einer groß angelegten Umfrage, die die Kommission vor der EU-Wahl im vergangenen Jahr durchführte. Demnach sind etwa 73 Prozent der Österreicher mit der Demokratie im eigenen Land zufrieden – aber nur 42 Prozent treffen diese Aussage in Bezug auf die EU. Europaweit sind die Werte (43 % Zufriedenheit) kaum besser. Auch hat nur ein Drittel der befragten Österreicher das Gefühl, die eigene Stimme zähle in Brüssel, europaweit sind es 29 Prozent.

Woran aber wird dieser Eindruck festgemacht? Oftmals ist es die komplizierte Gesetzgebung, die die EU ausmacht – und die der Kommission das alleinige Vorschlagsrecht für die gemeinsame Rechtsetzung einräumt. Dass das direkt gewählte EU-Parlament und der europäische Rat aus Regierungsmitgliedern aller 28 Mitgliedstaaten die Vorschläge im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemeinsam beschließen müssen, bevor sie als Richtlinie oder Verordnung in Kraft treten, wird dabei oft vergessen.

Hinzu kommt, dass die Kommission vor mittlerweile drei Jahren ein neues Instrument zur direkten Partizipation der Bürger am europäischen Gesetzgebungsprozess geschaffen hat: die Europäische Bürgerinitiative (EBI, siehe auch Lexikon rechts).

Recht auf Gesetzesvorschlag

Damit wird der Bevölkerung das Recht eingeräumt, die Kommission mittels Initiative zu einem bestimmten Gesetzesvorschlag aufzufordern. Allerdings erschweren zahlreiche Hürden für die Antragsteller die Möglichkeit, die EBI effizient zu nützen.

Insgesamt haben von 51 eingereichten Initiativen erst drei die Hürde von einer Million Unterschriften aus mindestens sieben Mitgliedstaaten geschafft. Die Anzahl der Initiativen ist deshalb seit dem Jahr 2012 stark zurückgegangen: Waren es damals noch 23, reichten im Jahr 2014 nur mehr zehn Antragsteller eine Anfrage ein.

Weltweit einzigartig

Während die Unionsbürger sich also aktiv in den Gesetzgebungsprozess einbringen müssen, damit sich die Kommission überhaupt mit einem bestimmten Thema befasst, zeigt sich Mitbestimmung für die Eidgenossen mit umgekehrten Vorzeichen: In der Schweiz hat der Bürger als Souverän die letzte Entscheidungsgewalt in allen Sachfragen – auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesstaatsebene. Dieses Modell ist allerdings einzigartig: Nirgendwo auf der Welt hat die Bevölkerung so viel Macht und Verantwortung. Lediglich die direkte Wahl der Regierung ist Aufgabe des Parlaments. In einer Abstimmung votierten die Schweizer 2013 dafür, dass dies auch so bleibt.

Doch das System bringt auch Probleme mit sich und stößt mitunter an seine Grenzen. Der Ausgang mancher Volksabstimmungen – wie zuletzt bei der Initiative über Masseneinwanderung im Februar 2014 – konterkariert bilaterale Vereinbarungen, die die Schweiz zuvor mit Vertragspartnern wie der EU geschlossen hat (siehe Seiten IV, V). Da das Votum aber innerhalb von drei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden muss, erwachsen Bern daraus zahlreiche Schwierigkeiten.

Die Regierung hat deshalb im vergangenen Jahr eine Expertengruppe einberufen, die über eine Reform des traditionellen politischen Systems beraten soll. Die Gruppe hielt unter anderem fest, dass die Häufung von politischen Verstößen in manchen Bereichen „problematisch“ sei. Deshalb solle es künftig eine Vorprüfung von Volksinitiativen durch das Parlament und eine Ausweitung der Ungültigkeitsgründe geben.

Bis auf Weiteres aber dürfte alles beim Alten bleiben – wenngleich die Debatte um eine Vereinbarkeit von Volksbegehren mit Völkerrecht und internationalen Verträgen die Schweiz zunehmend beschäftigen wird. Die rechtspopulistische Volkspartei (SVP) will das Problem auf einfachem Weg lösen – und der nationalen Verfassung vor internationalem Recht Vorrang einräumen.

Lexikon

Die Europäische Bürgerinitiative gibt es seit dem 1. April 2012. Sie wurde ins Leben gerufen, um EU-Bürgern die Möglichkeit einer direkten Einflussnahme auf die Gesetzgebung der Union zu ermöglichen – und ist damit freilich auf jene Politikbereiche beschränkt, in denen die EU auch tatsächlich zuständig ist. Auch können keine Änderungen der EU-Verträge beantragt werden. Vielmehr muss sich das Vorhaben auf einen Bereich konzentrieren, in dem der geltende Lissabon-Vertrag der Kommission ein Vorschlagsrecht einräumt. Hoch waren die Erwartungen, als die EBI vor drei Jahren startete: Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von einer „neuen Gelegenheit, eine partizipative Form der Demokratie zu praktizieren“, der damalige Vorsitzende des Ministerrats, der dänische Europaminister Nicolai Wammen, nannte die EBI ein „ganz neues Kapitel“.

Hürden. Doch die Hürden für die Initiative sind hoch: Sie kann nur erfolgreich sein, wenn mindestens eine Million Bürger aus sieben der 28 Mitgliedstaaten sie unterstützt – und das in maximal zwölf Monaten. Zudem ist für jedes Land eine Mindestanzahl an Unterstützungserklärungen festgelegt, die sich an der Einwohnerzahl orientiert. In Österreich müssen Initiatoren beispielsweise 14.250 Unterschriften sammeln. Diese Voraussetzungen haben zur Folge, dass die EBI im Lauf der Zeit immer weniger genützt wurde. So haben von 51 seit dem Jahr 2012 eingereichten Initiativen nur drei die Schwelle von über einer Million Unterschriften geschafft. Zwei Initiativen wurden bisher von der Kommission formal beantwortet: das Bündnis gegen Wasserprivatisierung namens „Right2Water“ (Recht auf Wasser) sowie die Initiative gegen Embryonenforschung, „One of Us“. Die Initiative „Stop Vivisection“ für die Abschaffung von Tierversuchen hingegen wird noch von der Kommission geprüft.

Nutzung. Die Anzahl der Einreichungen aber hat aufgrund der geringen Aussichten auf Erfolg deutlich abgenommen: Während im Jahr 2012 noch 23 Initiativen vorgelegt wurden, waren es 2014 nur noch zehn. Die Kommission hat deshalb acht Verbesserungsvorschläge für die Bürgerinitiative vorgelegt. So sollen vor allem Hindernisse bei der Einreichung reduziert, die Kommunikation zwischen den Initiatoren und der Kommission verbessert sowie eine einheitliche Regelung in den Mitgliedstaaten bezüglich der Gültigkeit von Unterschriften einführt werden.

Kritik. Den Kritikern gehen diese geplanten Neuerungen aber nicht weit genug. Sie bemängeln u. a., dass bestimmte EU-Bürger weiter von der Initiative ausgeschlossen würden: Während etwa in Österreich die ID-Nummer eines gültigen, hierzulande ausgestellten Reisepasses oder Personalausweises für eine Unterschrift nötig ist, wird in Großbritannien der Nachweis eines Wohnsitzes im Inland gefordert. Dies würde einen in Österreich lebenden Briten an der Unterstützung einer Initiative hindern. Er kann weder in Österreich noch in Großbritannien unterschreiben.Laut einem EU-Bericht sei eine solche Konstellation aber eher die Ausnahme. Einige Länder wie die Niederlande und Spanien hätten bereits Maßnahmen getroffen, um ihren Bürgern eine Stimmabgabe zu ermöglichen; Verbesserungen in Lettland, Schweden und Malta sollen folgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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