"Big Data und Genmaterial sollten Gemeingüter sein"

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Sozialanthropologin Randeria plädiert für die Wiederentdeckung des Begriffs der Gemeingüter, die staatlichem und kommerziellem Zugriff entzogen sind.

„Es gibt bestimmte dem Gemeinwohl dienende Güter, die nicht privatisiert oder einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden sollten.“ Dieser Ansicht ist Shalini Randeria, Rektorin des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), die bei den heute beginnenden Alpbacher Rechtsgesprächen den Eröffnungsvortrag hält. Deshalb tritt sie dafür ein, verstärkt die Idee von sogenannten Gemeingütern in den Blick zu nehmen.

„Der Gegensatz von Privatisierung und staatlicher Regulierung engt unseren politischen Horizont unnötig ein. In vielen Bereichen könnten wir unseren Blickwinkel sowie unseren Handlungsspielraum beträchtlich erweitern, wenn wir den Begriff der Gemeingüter entdecken oder vielmehr wiederentdecken würden“, so Randeria. Dieser Begriff umfasst sowohl natürliche Ressourcen wie Rohstoffe, Energieträger, Wasser oder Wald als auch immaterielle, abstrakte Güter wie kollektives Wissen, Kulturpraktiken oder Computercodes. In die Kategorie der immateriellen Gemeingüter fallen zum Beispiel auch komplexe personenbezogene Daten, heute als Big Data bekannt.

Weder Staat noch Kommerz

Die Verwendung dieser Daten ist ein äußerst lukratives und heiß umkämpftes Geschäft. Offen bleibt jedoch die Frage, wem diese Daten eigentlich gehören: großen internationalen Konzernen (Google, Facebook, Twitter etc.), die sie gesammelt sowie ausgewertet haben und über sie verfügen; oder Individuen, von denen die Daten ursprünglich stammen? „Käme man der Forderung nach, Einzelpersonen für die Verwendung ,ihrer‘ Daten zu entschädigen, liefe man Gefahr, diese als ,veräußerbare Ware‘ anzusehen. Man würde damit im Grunde die Logik dieser Konzerne übernehmen“, sagt Randeria. Sie plädiert stattdessen dafür, den Begriff der Global Commons, der globalen Gemeingüter, im Interesse der Allgemeinheit auch auf Big Data anzuwenden. Damit würden sie sowohl dem staatlichen als auch dem profitorientierten Zugriff entzogen.

Ähnliche Überlegungen stellt die Sozialanthropologin und Soziologin im Kontext der zunehmenden Patentierung und Privatisierung von genetischem Material aus den sogenannten Entwicklungsländern an. Randeria verweist auf ein Beispiel von „Bio-Piraterie“ aus Südasien: Durch minimale gentechnische Veränderungen könnten sich internationale Konzerne die Rechte an einem so essenziellen Grundnahrungsmittel wie Basmati-Reis sichern, um ihn unter neuem Namen zu vermarkten: „Der in Indien und Pakistan seit Jahrtausenden kultivierte Basmati-Reis wurde so zum Eigentum einer US-amerikanischen Firma in Texas, die den genetisch leicht veränderten Reis nun unter der Bezeichnung ,Texamati‘ verkaufen darf. Die beachtliche Leistung der ländlichen Bevölkerung, die das kollektive Wissen um den Anbau dieser Pflanze von Generation zu Generation weitergegeben und weiterentwickelt hat, wurde nicht anerkannt.“ Denn, so Randeria weiter: „Nach dem herrschenden globalen Rechtssystem kann geistiges Eigentum nur dann geschützt werden, wenn es aus einer wissenschaftlichen beziehungsweise technischen Innovation heraus entstanden ist.“

Der Begriff der Commons könnte auch hier Anwendung finden. Aber kann sich die Idee der Gemeingüter langfristig durchsetzen? „Ja“, sagt Randeria, „ich bin optimistisch. Die Idee der Commons ist alt, sie müsste nur neu gedacht und politisch durchgesetzt werden.“ Ihrer Ansicht nach könnten Veränderungen überall dort, wo neue rechtliche Regelungen der Commons-Idee noch entgegenstehen, mit den Mitteln des Rechts und der notwendigen politischen Mobilisierung auf internationaler Ebene herbeigeführt werden. „In meiner empirischen Forschung geht es darum zu zeigen, dass das Recht janusköpfig ist. Bestehende Rechte können durch politische Maßnahmen oder Gerichtsverfahren beschnitten werden. Sie können durch die Inanspruchnahme juristischer Mittel aber auch verteidigt oder durchgesetzt werden. Das Recht hat sowohl repressive als auch emanzipatorische Eigenschaften.“

Gibt es eine Alternative zum neoliberalen Modell? Werden Unternehmen nicht weiter damit drohen, in Billiglohnländer abzuwandern, solange das globale Gefälle in Rechts- und Sozialfragen bestehen bleibt? „Sicherlich versuchen Unternehmen, sich rechtliche Rosinen herauszupicken. Drohgebärden großer, mächtiger Wirtschaftsunternehmen setzen nationale Regierungen stark unter Druck. Meistens geben Staaten dann auch in Steuerfragen nach.“

Während Hindernisse für den globalen Warenaustausch und Finanzmarkt stetig abgebaut werden, wird die Bewegungsfreiheit von Menschen aus dem globalen Süden weiter eingeschränkt, so Randeria. „Hier haben wir es mit einer klaren Diskrepanz zu tun: Güter aus den Industrieländern sollen weltweit zollfrei exportiert werden können. Aber Menschen aus Afrika oder dem Nahen Osten sollen trotz Krieg und Wirtschaftskrise ihre Heimat nicht verlassen dürfen, es sei denn, sie sind hochqualifiziert und werden in Europa als Arbeitskräfte benötigt.“

Massenmigration weit entfernt

Dass Europa mit einer beispiellosen Massenmigration konfrontiert sei, relativiert Randeria: „Wir haben es vielmehr mit Flüchtlingen zu tun, die aus Krisen- und Kriegsgebieten zu uns fliehen – Konflikte, an denen Europa selbst zum Teil mitbeteiligt ist. Die meisten dieser Flüchtlinge bleiben aber in der Region und verteilen sich auf Nachbarländer, wie das Beispiel Syrien zeigt.“ Randeria weiter: „Während des nunmehr fünfjährigen Bürgerkriegs haben Jordanien, der Irak und Libanon sowie die Türkei und Ägypten 98 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Allein für den Libanon sind dadurch Kosten von rund 20 Milliarden US-Dollar entstanden.“ Das sei eine enorme Summe, fast halb so groß wie das jährliche Bruttonationalprodukts des Landes. Global gesehen relativiere sich die Flüchtlingsproblematik in Europa daher – obwohl auch hier die Herausforderungen an der Peripherie wesentlich größer seien als im Rest Europas.

Vorrang für Hilfe vor Ort

Vorrang müsse aber die Flüchtlingshilfe vor Ort haben, meint Randeria. Sie sei nicht nur effektiver, sondern unterstütze auch die wirtschaftliche und soziale Integration der Menschen in der Region. Voraussetzung dafür wäre jedoch, die Aufnahmestaaten vor Ort zu unterstützen, weil diese zum Teil nicht einmal in der Lage sind, die eigene Bevölkerung zu versorgen. Andernfalls seien Konflikte zwischen Flüchtlingen und Einheimischen programmiert. „Wenn eine Infrastruktur mit Schulen und medizinischer Versorgung als Teil internationaler humanitärer Hilfsprogramme bereitgestellt wird, muss sie für alle gleichermaßen zugänglich sein, für Flüchtlinge wie auch für die lokale Bevölkerung.“

Randeria plädiert für ein gesellschaftliches Umdenken: „Migration gehört zur Geschichte und Gegenwart jeder Gesellschaft. Wir müssen uns von der Vorstellung einer ethnisch, kulturell und sprachlich homogenen Gesellschaft verabschieden. Wachsende Ungleichheit bei gleichzeitig sinkender Toleranz gegenüber Diversität und Differenz sind die zentralen Herausforderungen unserer Zeit.“

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