Enge Freundschaft aus Vernunft

Helmut Kohl und Francois Mitterand
Helmut Kohl und Francois MitterandEPA
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Frankreich. Die Partnerschaft mit Deutschland ist der wichtigste Kitt für die EU. Doch die Verständigung erfolgt keineswegs immer reibungslos.

Mit der französisch-deutschen Freundschaft ist es manchmal wie mit der Nationalhymne: Jeder kennt den Refrain, aber mit dem Text der zweiten und dritten Strophe hapert es dann gewaltig. Das Bekenntnis zur historisch unumgänglich gewordenen Partnerschaft mit den Nachbarn jenseits des Rheins ist ebenso schnell über die Lippen wie der Refrain der „Marseillaise“. Hartnäckig halten sich aber auch überlieferte Klischees und Vorurteile im positiven und auch im negativen Sinn.

Spontan nennen neun von zehn Franzosen Deutschland als wichtigsten Partner in Europa. Sie zweifeln nicht an der Bedeutung und Notwendigkeit der 1963 von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle besiegelten Partnerschaft, die seither auf institutionelle Fundamente gestellt und auch in allen möglichen Gesellschaftsbereichen (Städtepartnerschaften, Jugend- und Studentenaustausch, Kultur) erweitert worden ist. Da zudem Frankreich allein keine europäische Großmacht (mehr) darstellt, wird die Lokomotive des Gespanns Paris-Berlin auf internationaler Ebene als Mittel mit Hebelwirkung eingesetzt.

Periodische Belastungsproben

Doch was steckt hinter den Bildern einer zwischenstaatlichen Vernunftehe, wie konsistent ist diese vor allem von den Politikern beider Länder regelmäßig beschworene Freundschaft? Fast ebenso periodisch wird dieser Pakt zwischen zwei großen europäischen Nationen einer Belastungsprobe ausgesetzt. Das ist vor allem seit 2008 mit dem Beginn der Krise der Fall, die bereits existierende politische Differenzen verschärft und die Diskrepanz der Wirtschaftsentwicklung vergrößert hat. Das wirkt sich auch emotional aus. Im Neid auf wirtschaftliche Exporterfolge kommen plötzlich alte Feindseligkeiten wieder zum Vorschein. Da wird zum Beispiel ohne Scheu vor den Anachronismen Angela Merkel mit Bismarck verglichen, um den deutschen „Egoismus“ in der EU anzuprangern.

Seit der Schaffung der europäischen Einheitswährung hält sich aber in Paris die Vorstellung, dass Frankreich wegen der deutschen Forderung eines sehr stabilen und hoch bewerteten Euro auf Kosten des eigenen Wirtschaftswachstums einen hohen Preis bezahlt – und auch gleich noch die deutsche Wiedervereinigung mit finanziert habe.

Das ist zwar vor allem ein Ressentiment, mit dem hauptsächlich der französische Rückstand bei den Strukturreformen entschuldigt wird, aber es lassen sich doch einige volkswirtschaftliche Elemente vorbringen, die in diese Richtung weisen. Wenn jedoch Deutschland dank seiner frühen Strukturreformen die Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat, zeigt sich das namentlich im Vergleich mit Frankreich, wo im Gegensatz dazu das bisherige Modell verbissen verteidigt und nur geringfügig der Globalisierung angepasst wurde. In diesem Vergleich kommt Frankreich in den meisten Sparten nicht gut weg. Und offenbar ist es einfacher, die Gründe dafür beim Nachbarn zu suchen als bei sich selbst.

Scheinbare Einstimmigkeit bei Merkozy

Besonders ausgeprägt war diese Haltung in Frankreich in der zweiten Hälfte der Amtszeit von Präsident Nicolas Sarkozy, als der Begriff Merkozy für eine bloß scheinbare Einstimmigkeit stand, die in Wirklichkeit als eine französische Angleichung an eine unnachgiebige deutsche Position verstanden wurde. Entsprechend ungern hörte man in Frankreich erst recht Vorwürfe wegen des defizitären Staatshaushalts und Mahnungen, die öffentlichen Finanzen wie mit dem Stabilitätspakt versprochen ins Lot zu bringen. Seit dem Amtsantritt von François Hollande 2012 sieht das deutsch-französische Paar zwar weniger einträchtig aus, und die Meinungsverschiedenheiten vor allem in der Schuldenpolitik gegenüber Griechenland haben sich vertieft.

Noch immer glauben viele in Frankreich, die Haushaltsdisziplin sei ihnen von Deutschland aufgezwungen worden und die von Hollande eingeleiteten Reformen seien ein Zugeständnis unter dem Druck aus Berlin. Auch in Zeitungskommentaren ist schnell von einem Diktat die Rede. Der latente Verdacht, Deutschland könnte Frankreich den politischen Hegemonialanspruch auf dem Kontinent streitig machen und dazu die Partnerschaft missbrauchen, kommt im Pamphlet „Le Hareng de Bismarck – Le poison allemand“ (Bismarcks Hering – Deutsches Gift) von Jean-Luc Mélenchon in extremer Form zu Ausdruck: „Der deutsche Imperialismus ist zurück“, schreibt da der Chef der Linkspartei in Frankreich. Das ist eine minoritäre Stimme, doch das Buch, das manche an ein altes Klischee vom hässlichen Deutschen erinnert, verkauft sich bestens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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