Was vom Image des "strengen" Deutschen bleibt

Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble
Deutschlands Finanzminister Wolfgang SchäubleAPA/AFP/DANIEL ROLAND
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Die Außensicht: Diszipliniertheit, Effizienz und Ordnungsliebe sind die wichtigsten Tugenden, doch ein Wandel zeichnet sich ab.

Deutschland: Ort der Hoffnung für hunderttausende Menschen, die sich aus Kriegsgebieten im Nahen Osten und aus Afrika auf den Weg nach Europa machen. „Ein freundliches Gesicht“ soll das Land zeigen, sagt Kanzlerin Angela Merkel – und trägt auch bildlich ihren Teil dazu bei, als sie auf Selfies lächelnd mit Flüchtlingen posiert. Die Fotos gehen über die sozialen Netzwerke um die Welt. Ein guter Teil der eigenen Landsleute steht hinter der Entscheidung der Kanzlerin, doch überraschend ist diese Offenheit keineswegs. Schon vor Ausbruch der Flüchtlingskrise hat sich das Image des Deutschen in der Außensicht deutlich gewandelt.

Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Entwicklung brachte die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006, das deutsche Sommermärchen, das Menschen vom ganzen Erdball zwischen München und Hamburg gemeinsam feiernd auf der Straße zeigte. Lebensfroh, bunt, gelöst – ganz undeutsch? Nicht unbedingt: Wie die qualitative Studie „Deutschland in den Augen der Welt“ der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aus dem Jahr 2015 zeigt, werden typisch deutsche Attribute zwar immer noch in erster Linie mit Ordnungsliebe, Rationalität, Gründlichkeit, Perfektion, Diszipliniertheit und Effizienz beschrieben: Darüber bestand unter den 176 Interviewpartnern in 26 Ländern rund um den Globus weitgehend Einigkeit. Häufig werden diese Tugenden aber keineswegs negativ interpretiert – sondern im Gegenteil bewundert.

„Die Deutschen respektieren die Zeit und sie planen stets alles. Wenn wir davon lernen würden, würden wir sehr weit vorankommen“, präzisierte ein Studienteilnehmer. Allerdings kommt ob des „deutschen Perfektionismus“ oftmals so etwas wie ein Unterlegenheitsgefühl auf; auch die „mangelnde Kreativität“ durch „weggeregelte Spielräume“ wird kritisiert.

Ansprüche auf individuelle Freiheit

Gleichzeitig – und das interpretieren die Studienautoren durchaus als widersprüchlich – würden den Deutschen „hohe Ansprüche auf individuelle Freiheit und ein Streben nach eigenverantwortlichem Handeln“ nachgesagt: So gibt es etwa auf deutschen Autobahnen bekanntlich keine Geschwindigkeitsbegrenzung.

Auch der angesprochene Imagewandel bricht sich langsam, aber nachhaltig Bahn. Im Sommer 2006 präsentierten sich die Deutschen „in den Augen ausländischer Beobachter erstmals voll Lebensfreude, Humor, Toleranz, Gastfreundschaft und einer fröhlichen Verbundenheit mit der eigenen Nation“. Ein Interviewpartner der GIZ in Südafrika formulierte es so: „Die Fußball-WM 2006 erlaubte es den Deutschen, ihren Patriotismus in einer neuen, positiven Form zu zeigen. Mir erschien das wie eine psychologische Wiedergeburt: die WM als Coming-out-Party der deutschen Seele.“

Erwartungen an Deutschland

Die GIZ untersuchte in den je eineinhalbstündigen Interviews die Sicht auf Deutschland zu den Themen Energie und Umwelt, politische Ordnung und Verwaltung, Infrastruktur, digitaler Wandel, Bildung und Beruf, Familie und Werte, Wirtschaft und Finanzen, Sicherheit sowie Gesundheit und Lebensqualität. Aus den Antworten leiten die Studienautoren mehrere Erwartungen ab, die die Welt an die Bundesrepublik hat: So berge die Vorbildfunktion eine Verpflichtung in sich, „auch künftig als Orientierungspunkt und Anker für andere Nationen zu fungieren“. Dort will man insbesondere vom ökonomischen, politischen und auch kulturellen Erfolg etwas lernen – wenngleich das vorgelegte Niveau oftmals als zu hoch kritisiert wird. Gleichzeitig wünschen sich Menschen rund um den Globus, Deutschland solle „mutiger Neuland betreten und nicht nur das Bewährte weiter verbessern“ – besonders die mangelnde Risikobereitschaft wird kritisiert.

Der vielleicht wichtigste Punkt betrifft die Verantwortung, die Deutschland nach Ansicht vieler Befragter durch seine „gestiegene Bedeutung“ in der Welt hat. „Ein starkes Deutschland wird nun stärker in die Pflicht genommen“, schreiben die Autoren – sei es bei humanitären Krisen, wirtschaftlichen Konfliktlagen oder etwa in der Umweltpolitik. Zu guter Letzt wünschen sich die Menschen von Deutschland, mehr über die eigenen Erfolge zu kommunizieren, um selbst „die Chance zu bekommen, daran teilhaben zu können“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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