Nicht nur die Eurokrise hat das Verhältnis zwischen Berlin und Athen belastet. Deutschland hegte seit jeher Zweifel an der griechischen Reife für die EU.
Still ist es geworden um den deutsch-griechischen Konflikt, der sich über viele Monate hingezogen hat. Fast schon vergessen sind die Tage, in denen ein Teil der deutschen Öffentlichkeit den Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone diskutiert und Griechenland eine deutsche Verschwörung gegen das Land geortet hat. Was ist nur zwischen den beiden europäischen Partnern schiefgelaufen; warum hat die Auseinandersetzung derart schrille Töne angenommen?
Im Jänner 2015 nahm Alexis Tsipras vom radikalen Linksbündnis Syriza in zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen den Mund in Bezug auf seine deutschen Partner sehr voll. Unter viel Applaus zeigte er auf Deutschland als Hauptschuldigen der „kontraproduktiven Sparauflagen“ für das bankrotte Griechenland und schreckte auch vor persönlichen Angriffen nicht zurück. Als Tsipras dann tatsächlich gewählt wurde, musste er mit jenen Politikern, die er beschimpft hatte, eine Verhandlungslösung für einen dritten Hilfskredit für sein Land finden.
Die aggressiven Töne aus Athen gaben dem seit Beginn der griechischen Schuldenkrise 2010 schwierigen bilateralen Verhältnis eine neue Spitze. Doch die Anfänge dieses innereuropäischen Konflikts liegen viel weiter zurück. Schon vor dem EU-Beitritt Griechenlands im Jahr 1981 waren aus Kreisen der deutschen Wirtschaft Zweifel an der Reife Griechenlands für den Beitritt geäußert worden. Diese Stimmen sind bis heute nicht verstummt. Ob Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität oder „harter Euro“ – immer ging es bei der Einforderung von Reformen Griechenlands auch um die grundlegende Architektur der Gemeinschaft. Deutschland fordert die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Partner, um eine Umwandlung der EU zu einer „Transfergemeinschaft“ zu verhindern. Genau diese Wettbewerbsfähigkeit ging dem Euroland Griechenland im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends endgültig verloren. Das Leistungsbilanzdefizit und die Schulden stiegen rasant, bis es 2009 im Zeichen der Weltwirtschaftskrise zum großen Krach kam. Bis dahin freilich profitierten auch deutsche Exportunternehmen stark von der Athener Ausgabenfreude. Doch derartige Probleme hat Deutschland auch mit anderen Partnerländern. Was die Spannungen in den vergangenen Jahren so verstärkte, waren alte, notdürftig übertünchte Konflikte ganz anderer Art. Da geht es vor allem um den ungenauen Umgang mit der gemeinsamen Geschichte und um von beiden Seiten gepflegte Stereotypen. Die Griechen würfeln gern ausstehende Kriegsentschädigungen und Reparationen mit der heutigen Staatsschuld durcheinander, bringen heutige deutsche Politiker allzu leichtfertig mit Hakenkreuzen und anderen Versatzstücken der Vergangenheit in Verbindung. Auf der anderen Seite stehen die Arroganz und die Vorurteile nicht weniger Deutscher, die die Griechen pauschal mit ihrem bankrotten Staat gleichsetzen und Vorurteile über Arbeitsleistung und Produktivität wiederkäuen, die noch auf die Zeit der Gastarbeiterwelle der Sechziger- und Siebzigerjahre zurückzuführen sind.
Verflechtung dennoch sehr eng
Doch letztlich scheint die Verflechtung der beiden Länder, ganz abgesehen von der Wirtschaft, viel zu eng zu sein, als dass diese Misstöne das Verhältnis dauerhaft stören könnten. So haben nicht weniger als 300.000 Deutsche griechische Wurzeln, Millionen Deutsche reisen jährlich nach Griechenland auf Urlaub, Deutsche Schule und Goethe-Institut sind besonders wichtige Sympathieträger im Mittelmeerland. Auch Syriza hat in letzter Zeit deutlich leisere Töne angeschlagen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)