„Die Integration der Türken läuft gut“

Modeschöpfer Atil Kutoglu
Modeschöpfer Atil KutogluClemens Fabry
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Interview. Modedesigner Atil Kutoğlu freut sich über die neue EU-Begeisterung seiner Landsleute und glaubt, dass Europa die Türkei braucht.

Die Presse: Sind Sie als türkischer Designer, der westliche Mode entwirft, ein Brückenbauer zwischen Kulturen?

Atil Kutoğlu: Durchaus, ja. Schon in der Türkei bin ich in einem sehr kosmopolitischen Umfeld aufgewachsen und habe das deutsche Gymnasium besucht; später bin ich für ein Wirtschaftsstudium nach Wien gezogen. Zwischen Österreich und der Türkei gibt es viele Gemeinsamkeiten: Beide Länder, beide Kulturen stellen eine Melange aus Ost und West dar. Für die Menschen in Wien war ich jemand, der die moderne Türkei repräsentiert, und habe mit meiner Person und meiner Arbeit automatisch eine Funktion als Brückenbauer bekommen, ohne das zu Beginn zu beabsichtigen.

Sie haben von Österreich aus Weltkarriere gemacht. Was war der Startschuss für Ihren Werdegang?

Als ich an einem verregneten Novembernachmittag zur Uni fuhr, begegnete mir auf dem Weg eine Gruppe von Menschen um den damaligen Bürgermeister Helmut Zilk, der offenbar eine neue Straßenbahnlinie eröffnete. Ohne lang zu überlegen, stellte ich mich ihm vor und erzählte von meinem Traum, internationaler Modedesigner zu werden. Zilk ließ meine Telefonnummer notieren, und eine Woche später kam ein Anruf aus der Kultursektion im Rathaus. Sie stellten mir eine Starthilfe für meine erste Modeschau zusammen. Doch selbst in dem weltoffenen Umfeld, in dem ich mich bewegte, gab es Vorurteile: Als Dagmar Koller, meine erste große Kundin, mich sah, sagte sie: „Sie können kein Türke sein.“ Sie hatte sich mich mit einem Bärtchen und dunklen Haaren vorgestellt.

Für Sie selbst war Integration nie ein Problem – aber wie wie beurteilen Sie die Integration Ihrer Landsleute hier in Österreich?

Die Integration läuft großteils gut, weil die neuen Generationen weitsichtiger sind als die ihrer Eltern. Auch haben sie ein stärkeres Österreich-Gefühl und sind – denke ich – der hiesigen Kultur verbunden. Die Situation mit den Flüchtlingen macht es aber schwierig: Man versucht, das eine Thema in den Griff zu bekommen, und ein anderes bricht auf.


Glauben Sie, dass die Flüchtlingswelle auch Ressentiments gegen die türkischstämmige Bevölkerung in Österreich schürt?

Nein, die Menschen betrachten das getrennt. Die Türken wirken neben den Flüchtlingen ja wie waschechte Österreicher.

Fühlen Sie sich selbst eher als Österreicher oder als Türke?

Ich bin mit dem Herzen Türke, mit dem Kopf Österreicher.

In welchem Sektor wären Sie beim Fußballmatch Österreich–Türkei gesessen?

Das ist schwer zu sagen. Ich bin zerrissen zwischen beiden Seiten.

Es gibt immer mehr westliche Designer, die Kollektionen für muslimische Frauen entwerfen. Was halten Sie davon?

In der muslimischen High Society gelten die gleichen Regeln wie in Mitteleuropa oder den USA. Man kann die jetzige Mode sehr schnell für sie verwendbar machen – auch, weil in den vergangenen Saisonen international eine hochgeschlossene Mode sehr im Trend lag. Muslimas ergänzen das Outfit mit einem Kopftuch in passendem Ton. Trotz ihres oft strengen Glaubens ist dies der einzige Unterschied.


Verstehen Sie die Aufregung um das Kopftuch in Westeuropa?

Grace Kelly und Sofia Loren haben seinerseits als Schutz gegen Sonne und Wind ein Kopftuch als modischen Aufputz getragen, und das liegt auch heute immer wieder im Trend. Wer sich aus religiösen Gründen zum Tragen eines Kopftuchs verpflichtet fühlt, sollte dies tun können. Andererseits darf es von konservativen Gruppen nicht als Druckmittel ausgenützt werden.

Die politischen Entwicklungen in Ihrem Heimatland werden in Europa mit Argwohn betrachtet. Was sagen Sie zur Lage in der Türkei?

Die Türkei schickt unterschiedliche Signale, die aber insgesamt positiv zu betrachten sind. Istanbul etwa ist eine Weltmetropole mit tollen Museen und Boutiquen geworden; es gibt in der Türkei neue Schriftsteller, eine junge Musikszene, Fernsehfilme und Serien, die weltweit bekannt sind. Es ist eine bebende Energie. Auf politischer Seite aber wirkt alles eher konservativ.


Auf kultureller, künstlerischer und wirtschaftlicher Seite gibt es eine Modernisierung – aber auf politischer Seite kann man das nicht gerade behaupten.

Fragen Sie mich lieber nicht. Mein Wunsch ist natürlich, dass alles freiheitlich orientiert und demokratisch sein sollte. Ich sehe auch gar keinen Grund, Begrenzungen zu setzen, denn es gibt so viele positive Entwicklungen in der Türkei.


Ist es gut, dass sich die EU in der Flüchtlingskrise in Abhängigkeit von Ankara begeben hat?

Wenn ich mit meinem türkischen Herzen denke: Es ist gut, dass Europa die Türkei so dringend braucht und man die Vorteile einer Partnerschaft wieder in den Vordergrund rückt. So können Vertreter der Union auch ganz konkret jene Punkte ansprechen, die als problematisch betrachtet werden. Ich hoffe, dass Ankara lernfähig und verbesserungswillig ist. Das ist eine historische Chance, sich hinzusetzen und alles, was bisher nicht diskutiert wurde, auf den Tisch zu bringen. Auch von EU-Seite wurden die positiven Aspekte eines EU-Beitritts nicht angesprochen. Vielleicht denkt man jetzt mehr darüber nach. Die Türkei ist Europa.


Ist der EU-Beitritt also eine realistische Perspektive?

Ich denke schon. Lang hat es in der Türkei so ausgesehen, als würde die Regierung den Beitritt nicht mehr mit großer Energie anstreben, was für mich und mein Umfeld eine traurige Entwicklung war. Das Bestreben ist jetzt wieder da.

Gehört die Türkei in die EU?

Ja. Viele türkische Wirtschaftsbosse meinen, dass die EU davon sogar mehr hätte als umgekehrt. Die Türkei ist ein Riesenmarkt und das Tor nicht nur in den Mittleren Osten, sondern in viele große asiatische Länder, die wichtige strategische Partner darstellen.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

Es gibt mehr Euphorie und positive Energie gegenüber Europa.

Woran machen Sie das fest?

Die Menschen fühlen sich wieder ernst genommen, weil Europa die Türkei als starken Partner anerkannt hat – auch wenn das wegen der Flüchtlingskrise eine Notwendigkeit war. Angela Merkel war innerhalb kürzester Zeit viermal in der Türkei. Das hat die Bevölkerung aufgebaut und positive Gefühle hervorgerufen. Denn die Menschen waren demoralisiert, dass von der Union lange Zeit statt einer Annäherung nur negative Signale kamen. Jetzt ist man wieder motivierter, das freut mich persönlich sehr.

ZUR PERSON

Der türkischstämmige Designer

Atil Kutoğlu wurde in Istanbul geboren und besuchte dort die deutsche Schule. Für ein Studium an der Wirtschaftsuniversität zog er nach Wien, wo auch seine internationale Karriere als Modemacher begann. Eine Starthilfe für die erste Modeschau kam vom damaligen Bürgermeister Helmut Zilk, dessen Frau, Dagmar Koller, zu den ersten Kundinnen Kutoğlus zählte. Es folgten Modeschauen in Düsseldorf, Mailand und New York. Schnell fanden seine Kollektionen großen Anklang. Der Designer lässt stets auch Einflüsse des Orients in seine Entwürfe einfließen. Im Jahr 2013
wurde Kutoğlu das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und
Kunst von Bundespräsident Heinz Fischer verliehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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