Die Japaner, Weltmeister der Krisen

(c) AP (Shizuo Kambayashi)
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Die anpassungsfähigen Japaner behalten auch in Schieflagen die Balance. Tokios City präsentiert sich auch in der schweren Krise als ultimative Adresse für Luxus, Eitelkeiten und Überfluss.

Tokio. In schwarzer Lackoptik glänzt die Edelboutique von Vertu als jüngstes Schmuckstück der Tokioter Prachtmeile Ginza. Ende Februar eröffnete der Hersteller von Luxus-Mobiltelefonen sein neues Flaggschiff, um die titanisch teuren Handys endlich auch in Japan zu verkaufen. Das billigste Modell für Bessertelefonierer kostet in Tokio umgerechnet rund 5500 Euro.Nur ein paar Blocks entfernt empfängt seit März das Sechssterne-Shangri-La-Hotel seine Gäste ab 460 Euro pro Nacht aufwärts. Alles ist vom Feinsten, in der Hochzeitskapelle führt der Weg zum Altar über Intarsien aus Swarowski-Kristall.

Tokios City präsentiert sich auch in der schweren Krise als ultimative Adresse für Luxus, Eitelkeiten und Überfluss. In den Restaurants schlemmen vor allem Frauen offenbar sorglos in bester Laune. „Wenn so Krise aussieht, bitte schön. Da macht es Spaß zuzusehen, ist es aufregend und prickelnd“, wundert sich Jesper Koll, Chef des privaten Tantallon-Forschungsinstitutes, über die Dauerparty.

Japans Metropole glitzert unter einem Sternenhimmel – und nicht nur „by night“. Mit der Qualität und Vielfalt ihrer Restaurants haben sich die Tokioter in den zurückliegenden Jahren in die absolute Weltspitze katapultiert. Die Oberhoheit des guten Geschmacks, der Michelin-Restaurantführer, ließ nun schon zum zweiten Mal einen wahren Sterneregen über Tokio niederprasseln: 227 Sterne an 173 Tokioter Küchen.

Das schöne Gesicht verdeckt noch das hässliche – noch und auch nur in Tokio oder Nagoya, nicht auf dem flachen Land. Ohne Neonlicht betrachtet, steckt Japan wie alle Industriestaaten in einer tiefen Krise. Es hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt sogar viel schwerer erwischt als andere, weil für ein Exportland teurer Hightech derzeit die Märkte dramatisch einbrechen. Die Japaner müssen gleichzeitig mit ansehen, wie in der Elektronik und im Autobau Billiganbieter aus dem Nachbarraum die wenigen noch verbliebenen Kunden wegschnappen.

Die jüngsten Wirtschaftsdaten sind verheerend, die Prognosen noch schlimmer. Aber bis jetzt hat noch kein Warenhaus, kein Großkonzern und auch keine Bank Zahlungsschwierigkeiten oder gar Bankrott gemacht.

In der Rezession wachsen

Vielleicht haben Japaner es in den vielen Krisen der zurückliegenden Jahre gelernt, sich durch Schieflagen nicht aus der Balance bringen zu lassen. Zweifellos hilft ihnen ihre generell optimistische Weltsicht, sie gehen mit weniger Sorgen, Zweifeln und Skepsis an die Dinge heran als der Westen. Japaner sind extrem pragmatisch und anpassungsfähig.

Nach den aufregenden Jahren des Aufstiegs und des atemberaubenden Booms – als Japan die größte Volkswirtschaft der Welt überholen und selbst die „Nummer eins“ vor den USA werden wollte – platzte Ende der 1980er-Jahre die Spekulationsblase am Grundstücks- und Aktienmarkt.

Glaube an sich selbst

Die Werte für Immobilien brachen um bis zu 90 Prozent ein. Die Börsenkurse lösten sich fast in Luft auf und erreichten in den vergangenen 20 Jahren auch nie nur annähernd wieder das halbe Niveau von einst. Zunächst wollte die Mehrheit der erfolgsverwöhnten Japaner diesen tiefen Fall kaum wahrhaben. Die Politik tat wenig.

Trotz dieses Schlingerkurses versank Japan nie im Chaos, funktionierten der nationale Zusammenhalt und vor allem der Glaube an sich selbst. Die Tokioter zogen gigantische städtebauliche Projekte hoch. Derzeit bewirbt sich Tokio für die Olympischen Sommerspiele 2016. Glaubt man Organisatoren und Stadtvätern, liegt das Budget von rund 3,5 Mrd. Euro bereits in der „Kriegskasse“.

In den Jahren zwischen Absturz, Hoffnung und Einbruch wuchsen viele Exportkonzerne über sich hinaus. Staat und Privatwirtschaft investierten ohne Abstriche kontinuierlich in Forschung und Entwicklung. Um die großen Städte Tokio, Osaka und Kobe entstehen Wissenschafts-Cluster für Medizin, Chemie, Bio- und Nanotechnologie, mit denen Japan seine Hightech-Spitzenposition halten und vielleicht sogar ausbauen will.

Riss durch die Gesellschaft

Doch es gibt auch andere Bilder: Mit gesenkten Köpfen warteten die Frauen und Männer auf einen Schlafplatz. Rund 500 Arbeits- und Obdachlose campierten im Frühjahr mehrere Tage mitten in der City des „reichen Japan“ und setzten ein neues gesellschaftliches Phänomen in Szene: Armut und soziale Kälte. Die meisten Asylanten waren bis vor Kurzem Zeitarbeiter, die nun nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Bleibe verloren, da sie in Wohnheimen von Unternehmen leben durften.

Die Krise führt der erschrockenen Nation brutal vor Augen, was sich in den 69 Monaten Rekordwachstum von 2000 bis 2006 fast unbemerkt verändert hat: Im einst gelobten Land der lebenslangen Beschäftigung und des sozialen Konsenses, in dem sich 90 Prozent der Bevölkerung zur Mittelschicht zählten, klaffen plötzlich tiefe soziale Gräben. Es ist schockierend für die meisten Japaner, wie massiv ihre Konzerne die jetzige Lage „ausnutzen“ und Arbeitskräfte auf die Straße setzen. Entlassungen galten bei allen konjunkturellen Einbrüchen zuvor noch als tabu.

Langjährige Landeskenner wie der österreichische Handelsdelegierte Ernst Laschan denken: „Japaner neigen nicht dazu, ihr Schicksal öffentlich zu beklagen, sie arrangieren sich stattdessen mit den Umständen und schnallen den Gürtel enger.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2009)

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