Schweres Erbe: „Karadcic ist kein Held mehr“

(c) AP
  • Drucken

Serbiens nationalistisches Lager ist zerfallen. Die Regierung kämpft weiter um den Kosovo – mit Diplomatie.

Er war plötzlich aufgetaucht – wie ein Gespenst aus einer dunklen Vergangenheit. Jahrelang hatte er sich in Serbien verborgen, offenbar gedeckt von höchster Stelle. Doch im Sommer vor einem Jahr verhafteten Serbiens Behörden Radovan Karad?i? und lieferten ihn an das Haager Jugoslawien-Tribunal aus. Ab 19. Oktober muss sich der Exführer der bosnischen Serben vor Gericht wegen Völkermordes und Kriegsverbrechen verantworten – ein Prozess, der wieder Fragen über Serbiens Verantwortung für Verbrechen in Bosnien aufwerfen und wieder das Stereotyp vom „nationalistischen Serben“ nähren wird.

Doch wie nationalistisch ist Serbien neun Jahre nach dem Fall des Regimes von Slobodan Milo?evi??

Karad?i?s Festnahme wurde international als erster wichtiger Schritt der neuen serbischen Regierung nach der Abwahl des nationalkonservativen Premiers Vojislav Ko?tunica gefeiert. Der befürchtete große Sturm der Entrüstung des nationalistischen Serbien blieb aus. Nur wenige gingen auf die Straße, um gegen Karad?i?s Verhaftung zu protestieren. Ein Zeichen dafür, „dass sich Serbien in Richtung EU bewegt und die rückwärts gewandten Gruppen klar auf dem Rückzug sind“, meint Dejan Anastasijevi?, Journalist des serbischen Magazins „Vreme“, im Gespräch mit der „Presse“. Anastasijevi? war ein prominenter Kritiker des Milo?evi?-Regimes und musste 1999 vorübergehend nach Österreich flüchten.

„Lücken bei der Aufarbeitung“

Für den Journalisten gab es in Serbien gerade im vergangenen Jahr wichtige Veränderungen: Ko?tunica wurde abgewählt, die ultranationalistische Radikale Partei verlor an Stimmen und zerfiel. Und die Sozialisten, einst Partei Milo?evi?s, sind als kleiner Regierungspartner der Demokratischen Partei heute auf Pro-EU-Kurs. „Die Hardcore-Nationalisten stellen keine ernste Bedrohung mehr dar“, sagt Anastasijevi?. „Der Großteil der Parlamentsabgeordneten ist nun proeuropäisch.“

Nata?a Kandi?s Bilanz fällt weniger positiv aus. Die Menschenrechtsaktivistin sieht nach wie vor große Lücken in der öffentlichen Aufarbeitung serbischer Kriegsverbrechen. Auch für die Demokratische Partei habe die Beschäftigung mit dieser Vergangenheit keine Priorität mehr, kritisiert Kandi? im Gespräch mit der „Presse“.

Karad?i?s Festnahme sieht sie als wichtigen Fortschritt. Dass er nicht mehr als Held verehrt werde, liege aber auch an seinem entlarvenden Auftritt vor Gericht: „Karad?i? beschwerte sich, trotz eines Deals mit den USA verhaftet worden zu sein. Allen wurde klar, dass er sich nie für das Schicksal der Serben interessiert hatte, sondern nur für sein eigenes.“

„Vreme“-Journalist Anastasijevi? wertet positiv, dass in Serbiens Innenpolitik mittlerweile andere Themen Priorität haben als der Kosovo. Auch wenn er kritisiert, dass Serbiens Außenamt große Ressourcen dafür aufwende, Dritte-Welt-Staaten davon zu überzeugen, keinesfalls die Unabhängigkeit der einstigen serbischen Provinz anzuerkennen. Die Regierung versucht die Abspaltung des Kosovo nun mit diplomatischen Mitteln zu bekämpfen. Die Zeiten, in denen man dafür zur Waffe griff, scheinen endgültig vorbei.

Die Serben haben längst verstanden, dass der Kosovo verloren ist, erklärt Anastasijevi?. Es gebe aber eine zweite, emotionale Ebene: Hier herrsche das Gefühl, mit dem Kosovo einen Teil des kulturellen Erbes verloren zu haben.

In Gespenstern der Vergangenheit wie Karad?i? und seinen Anhängern sieht Anastasijevi? keine Gefahr mehr für Serbiens demokratische Regierung. „Die größte Gefahr ist die Wirtschaftskrise. Den Menschen geht es heute um ihre Jobs und ihre Pensionen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Guca: Das Fest des Schweins und der Trompeten

Einmal im Jahr machen mehr als 1000 Musiker und hunderttausende Gäste ein verschlafenes Dorf im Südwesten Serbiens zum Zentrum des unverfälschten Balkan-Brass. Immer mehr Ausländer finden Geschmack daran.
Außenpolitik

Kurz gestolpert bei der langen Aufholjagd

Serbien erlebt harte Rückschläge, hat aber schon ganz andere Krisen überlebt.
Außenpolitik

Sport: Ausverkauf in der Fußballtalenteschmiede

Serbiens Nachwuchskicker sind in ganz Europa heiß begehrt. Der dauernde Aderlass hat die Klubs aber nachhaltig geschwächt.
Außenpolitik

Literatur: Fluchtpunkt Belgrader Clubszene

Die junge serbische Autorin Barbi Markovi¿ erzählt über ihre Heimatstadt.
Außenpolitik

Hoffnung auf Jugoslawiens alte Freunde

Russland und China, aber auch Länder wie Libyen werden wieder wichtiger.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.