Für Trudeau kann die Reise nach Brüssel jederzeit losgehen

Canada´s Prime Minister Justin Trudeau speaks in the House of Commons in Ottawa
Canada´s Prime Minister Justin Trudeau speaks in the House of Commons in Ottawa(c) REUTERS (CHRIS WATTIE)
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Kanadas Regierung wartet nur auf das Signal aus Europa, dass der Handelsvertrag Ceta endlich unterschriftsreif ist.

Brüssel. Kanadas Premierminister, Justin Trudeau, hat den Koffer vermutlich schon gepackt. Er ist bereit, nach Brüssel zu fliegen, wenn er ein Signal erhält, dass Ceta endlich unterschriftsreif ist. Er warte nur auf den Anruf von EU-Ratspräsident Donald Tusk, hieß es am Donnerstag.

Die Nachrichten vom Durchbruch in Belgien wurden von der Regierung in Ottawa mit Erleichterung, aber auch mit einer abwartenden Haltung aufgenommen. „Dies ist eine positive Entwicklung, aber es bleibt noch Arbeit zu erledigen. Vor der Unterzeichnung sind zusätzliche Schritte notwendig“, sagte Alex Lawrence, Sprecher von Handelsministerin Chrystia Freeland. „Kanada ist bereit, dieses wichtige Abkommen zu unterzeichnen, sobald Europa bereit ist.“

Am Mittwoch hatte die kanadische Regierung die Reise zum EU/Kanada-Gipfel wegen des Widerstands in Wallonien abgesagt. Am Abend teilte der Sprecher Freelands mit: „Die kanadische Delegation wird heute Abend nicht nach Europa reisen.“ Wann das nun nachgeholt wird, war auch am Donnerstagmorgen noch nicht klar. Tusk will Trudeau offenbar erst kontaktieren, wenn das Verfahren in Belgien abgeschlossen ist.

Trudeau hat sich zuversichtlich geäußert, „dass wir in den kommenden Tagen ein positives Ergebnis für dieses historische Abkommen erreichen werden“. Seine Regierung, die vor einem Jahr in das Amt kam, habe feststellen müssen, dass das Wirtschafts- und Handelsabkommen, das sie von der konservativen Vorgängerregierung übernommen hatte, „in großen Schwierigkeiten“ war. Er nannte dabei die Bedenken der Europäer gegen den Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten.

Die liberale Regierung und die konservative Opposition, die Provinzen und der Unternehmerverband sind für Ceta. Aber das Meinungsbild ist nicht einhellig. Auch in Kanada gibt es Ceta-Kritiker. Für sie ist der Widerstand der Wallonen Ausdruck eines weitverbreiteten Misstrauens in den EU-Staaten und in Kanada gegen den Handelsvertrag. Vor allem lehnen sie die Rechte von Unternehmen ab, Staaten vor Tribunalen außerhalb des bestehenden Justizsystems verklagen zu können. Die Ergänzungen in Ceta, die in den vergangenen Monaten von Kanada und der EU ausgehandelt wurden, reichen ihnen nicht aus. Für die kanadische Grünen-Abgeordnete Elizabeth May ist der Mechanismus zur Streitschlichtung, der als Investor-State Dispute Settlement (ISDS) bezeichnet wird, eine „tickende Zeitbombe“. Im Interesse von Kanadiern und Europäern sollten diese Vorschriften aus Ceta gestrichen werden.

In diesem Punkt bekommen Ceta-Kritiker Rückendeckung von Rechtsexperten wie Michael Geist von der Universität in Ottawa und Gus Van Harten von der Osgoode Hall Law School in Toronto. Van Harten kommt in einem Gutachten zur Überzeugung, dass die interpretierende Erklärung zu Ceta „wenig dazu beiträgt, zentrale Bedenken zu entschärfen, die aus den vorgeschlagenen Sonderrechten und Privilegien für ausländische Unternehmen erwachsen“. Er räumt ein, dass die Erklärung das Recht der EU und Kanadas bekräftigt, Rechtsvorschriften etwa zum Umweltschutz und im Sozial- und Arbeitsrecht zu erlassen. Aber Ceta könne es für die Regierung riskant machen, bestimmte Gesetze zu erlassen, weil dies potenziell sehr teuer werden könne, wenn das Tribunal darüber urteilt, meint Van Harten. Es ist genau der Kritikpunkt, den viele Ceta-Gegner anführen.

Der Ceta-kritische Council of Canadians verweist darauf, dass die Vereinbarung von Brüssel offenbar nochmals bestätigt, dass der Streitschlichtungsmechanismus vorerst nicht in Kraft tritt. „Das heißt, dass er vielleicht niemals Teil von Ceta wird. Das wäre großartig”, sagte seine Vorsitzende, Maude Barlow. Sie verwies auf den nach ihrer Einschätzung weiter wachsenden Widerstand gegen Ceta. Unabhängig von der Einigung in Brüssel „liegt vor Ceta keine leichte Reise“.

Kritik an EU-Entscheidungsprozess

Unter Kanadas Ceta-Befürwortern war in den vergangenen Tagen die Frustration über Europa gewachsen. Dass die Europäische Union nicht in der Lage ist, Einigkeit über einen Handelsvertrag mit Kanada zu erreichen, haben sie mit zunehmendem Unverständnis quittiert. Das Gerangel um Ceta sei „ein Schlag für die Glaubwürdigkeit der EU, die immer noch von Großbritanniens Entscheidung im Juni erschüttert ist, den Staatenblock zu verlassen“, schrieb am Mittwoch die liberal-konservative Tageszeitung „Globe and Mail“. Auch der mitte-links-orientierte „Toronto Star“ meinte, die Ceta-Probleme seien zwar ein Rückschlag für die Regierung Trudeau. Aber der EU bescherten sie „viel größere Kopfschmerzen, da sie nun Gefahr läuft, als unfähig eingestuft zu werden, ein Arrangement selbst mit einem Land, das so ,nett‘ wie Kanada ist, durchzusetzen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2016)

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