Ein Landwirt wollte, dass Europa nie mehr hungert

Sicco Mansholt. Der niederländische Sozialdemokrat entwickelte die Ideen für eine gemeinsame europäische Agrarpolitik.

Brüssel. Eigentlich wollte der Niederländer Sicco Mansholt seinen Lebensunterhalt ebenso wie sein Vater als Bauer verdienen. 1937 kaufte er sich ein Stück Land in der Polderregion Wieringermeer und begann das dem Meer abgetrotzte Gebiet fruchtbar zu machen. Während des Zweiten Weltkriegs schloss er sich dem Widerstand gegen die nationalsozialistischen Besatzer an. Er arbeitete im Untergrund und organisierte die weitere Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln.

Mansholt, der als Jugendlicher organisatorische und landwirtschaftliche Erfahrungen auf einer Teeplantage in Indonesien gemacht hatte, wurde nach dem Krieg Minister für Landwirtschaft und Fischerei. Nun war er an offizieller Stelle für die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung zuständig. Der Sozialdemokrat war gerade 36 Jahre, als er gegen die Hungersnöte in der Bevölkerung kämpfte. Die Erfahrungen des Hungerwinters 1946/47 prägten seine künftige Tätigkeit. Er entwickelte Ideen für eine gemeinsame europäische Agrarpolitik (Mansholt-Plan), die allerdings vorerst auf wenig Begeisterung stießen. Es gelang ihm, seine Ideen zur politisch gesteuerten Modernisierung der Landwirtschaft und Erhöhung der Versorgungssicherheit zunächst in seinem eigenen Land umzusetzen. Als er 1958 zum Kommissar für Landwirtschaft in der EWG ernannt wurde, konnte er diese Pläne nach und nach auch auf europäischer Ebene realisieren.

Sicco Mansholt gilt als Begründer der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik. Er setzte ein staatlich gefördertes System der abgesicherten Produktion bei erschwinglichen Nahrungsmittelpreisen durch. Damit sollte die Zukunft der Bauern gesichert und gleichzeitig eine Hungersnot für die Zukunft ausgeschlossen werden. In den 1970er-Jahren führte diese Politik sogar zu einer Überproduktion. Manshold war bis 1972 Agrarkommissar und kurzzeitig sogar Präsident der Kommission. Er starb 1995. (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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