Robert Schuman. Der Franzose und überzeugte Europäer setzte auf die Gründung einer Montanunion, um neue Kriege in Europa zu verhindern.
Wien. Der berühmte Platz im Europaviertel von Brüssel, an dem die EU-Kommission residiert, trägt zu Recht seinen Namen. Denn Robert Schuman ist einer der zentralen Architekten der europäischen Integration und schon von seiner Herkunft her ein Paradeeuropäer. Geboren wurde Schuman 1886 als deutscher Staatsbürger in Luxemburg. Die Mutter war Luxemburgerin, der Vater Franzose, der jedoch nach der Annexion der Region, in der er lebte, zum Reichsdeutschen wurde. Die Jugend im deutsch-französischen Grenzgebiet war prägend für Jean-Baptiste Nicolas Robert Schuman, so sein vollständiger Name. Dann kam der Krieg zwischen Deutschen und Franzosen, der mittlerweile als Anwalt arbeitende Schuman wurde aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert.
Doch nach dem Krieg wurde die Region Elsass-Lothringen wieder Teil Frankreichs – und Schuman und seine Familie Franzosen. Er engagierte sich sodann mehr und mehr politisch und wurde schließlich Abgeordneter der Region Lothringen in der Nationalversammlung in Paris. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Region von den Deutschen besetzt, Schuman von der Gestapo verhaftet und in der Stadt Metz festgehalten. Er konnte aber flüchten und schloss sich der Résistance an. Obwohl die Deutschen eine Kopfprämie von 100.000 Reichsmark auf ihn aussetzten, gelang es ihm, jahrelang unbehelligt im Untergrund gegen die nationalsozialistischen Besatzer weiterzukämpfen.
Trotz der negativen Erfahrungen mit den Deutschen stand er ihnen nach dem Kriegsende nicht verbittert oder feindlich gegenüber, sondern war auf Kooperation bedacht. Er bekleidete den Posten eines Finanzministers und des Ministerpräsidenten und war schließlich von 1948 bis 1952 Außenminister Frankreichs. In diesen Jahren nahm er schon an Verhandlungen mit Europarat und Nato teil, und es reiften in ihm die Grundsätze für eine europäische Einigung.
Zum eigentlichen „Gründungsvater“ der EU wurde der Außenminister aber mit dem Schuman-Plan, den er gemeinsam mit Jean Monnet (siehe nebenstehendes Porträt)entwickelte. Der Ansatz war, dass die Produktion der so wichtigen Grundstoffe für die Rüstungsindustrie, Kohle und Stahl, gemeinsam kontrolliert werden sollte. Nur mit ihrer gemeinsamen Verwaltung könne ein neuer Krieg verhindert werden, so der Grundgedanke.
Am 9. Mai 1950 hielt Schuman schließlich seine große Rede und schlug darin die Schaffung einer gemeinsamen Hohen Behörde vor, der die deutsch-französische Kohle- und Stahlproduktion unterstehen sollten. Außerdem sollten auch andere europäische Länder die Möglichkeit erhalten, dieser gemeinsamen Behörde beizutreten. Diese Montanunion sollte schließlich politisch zur Föderation Europas führen.
Der zuvor weitgehend geheim gehaltene Plan stieß beim deutschen Bundeskanzler Adenauer rasch auf großes Interesse, und Deutschland stimmte zu. Wenig später auch andere Länder, wie Belgien, Luxemburg, die Niederlande und Italien. Im April 1951 wurde in Paris der Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) von Vertretern dieser sechs Länder unterzeichnet. Später wurde daraus die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und schließlich die Europäische Union (EU).
Schuman wurde 1958 zum ersten Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt – und der 9. Mai wird heute als Europatag gefeiert und gilt als Geburtsstunde der Europäischen Union. (g.b.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)