May steuert chaotisch in den Brexit

Vor ihrem Amtssitz in der Downing Street erklärte Premierministerin Theresa May ihre Bereitschaft, eine Minderheitsregierung zu bilden. Sie ist eine Regierungschefin auf Abruf. In der Wahlnacht hatte sie schon ihren Rücktritt erwogen.
Vor ihrem Amtssitz in der Downing Street erklärte Premierministerin Theresa May ihre Bereitschaft, eine Minderheitsregierung zu bilden. Sie ist eine Regierungschefin auf Abruf. In der Wahlnacht hatte sie schon ihren Rücktritt erwogen.(c) APA/AFP/ADRIAN DENNIS (ADRIAN DENNIS)
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Statt Stabilität bringen die Neuwahlen eine Minderheitsregierung, angeführt von einer angeschlagenen Premierministerin.

London. Nach einer Abfuhr bei der Parlamentswahl bemühte sich die britische Premierministerin, Theresa May, gestern darum, wieder das Gesetz des Handelns in die Hand zu bekommen. „Ich werde eine Regierung bilden“, erklärte sie nach einem Besuch bei Queen Elizabeth im Buckingham-Palast. Als stimmenstärkste Partei hätten ihre Konservativen als einzige Partei „die Legitimität und Fähigkeit“, eine Mehrheit im Unterhaus zu finden, sagte May.

Dafür wird sie allerdings auf die Democratic Ulster Party (DUP) angewiesen sein. Gemeinsam kommen die 318 Tory-Abgeordneten mit den zehn DUP-Mandaten haarscharf über die magische Grenze der absoluten Mehrheit, die bei 326 der 650 Sitze liegt. Die nordirischen Protestanten lehnen allerdings den formellen Eintritt in eine Koalition ab und wollen die Regierung nur dulden. Umso größer wird die Erpressungsmacht der Unionisten sein: Sie sind Verfechter des Brexit, wollen aber aus dem Londoner Haushalt für den Verlust von EU-Geldern alimentiert werden. In der Sozialpolitik steht die DUP mit der Ablehnung von Homosexuellenehe und Abtreibung rechts von den Tories.

Die Zusammenarbeit mit den Unionisten wird den notorisch zerstrittenen Konservativen enorme Disziplin abverlangen. So wie sich die Partei traditionell hinter einem strahlenden Sieger sammelt, werden hinter einem Verlierer sehr rasch die Messer gewetzt. In London machten gestern bereits Gerüchte über die politische Zukunft Mays die Runde. Angeblich sei sie zunächst sogar zum Rücktritt bereit gewesen, wurde von Parteigranden jedoch zur Übernahme der Verantwortung gezwungen. Immerhin war sie es gewesen, die Mitte April die Neuwahlen ohne Not vom Zaun gebrochen hatte.

Mitschuld an dieser Fehlspekulation wurde hinter vorgehaltener Hand insbesondere Brexit-Minister David Davis gegeben, der May erst in die Neuwahl gejagt habe. Sein Verbleib in der Regierung schien alles andere als sicher. Dennoch bekräftigte May in ihrer Stellungnahme das Festhalten an dem ursprünglichen Zeitplan für den EU-Austritt: „Diese Regierung wird das Land durch die entscheidenden Brexit-Verhandlungen führen, die in zehn Tagen beginnen werden, und den Willen des britischen Volks umsetzen.“

Stichtag 19. Juni

Der Beginn der Verhandlungen ist für 19. Juni angesetzt. Am selben Tag will May dem Parlament in ihrer „Queen's Speech“ auch das Programm für ihre Legislaturperiode vorstellen. Die Abstimmung darüber wird der erste Realitätstest sein, ob May eine Mehrheit hat und wie groß sie ist. Ironischerweise wird ihr dabei just einer der größten Gegner der Konservativen helfen: Die irischen Nationalisten von der Partei Sinn Fein, die am Donnerstag sieben Sitze gewannen, boykottieren traditionell das britische Unterhaus.

Obwohl sie keine Chance auf eine Regierungsbildung hat, sah sich die Labour Party im Aufwind. Während die Tories zwölf Mandate verloren, konnten die Sozialdemokraten um 31 Sitze zulegen. Parteichef Jeremy Corbyn forderte ebenso umgehend wie wirkungslos den sofortigen Rücktritt Mays.

Wenn jemand May zum Rücktritt zwingen kann, ist es nur die eigene Partei. Außenminister Boris Johnson, Innenministerin Amber Rudd und Verteidigungsminister Michael Fallon werden Ambitionen nachgesagt. Keiner wäre indes das notwendige Erneuerungssignal. Zudem kann es sich die Partei nur elf Monate, nachdem sie Premier David Cameron ohne Wahl durch May austauschte, nicht schon wieder leisten, den Regierungschef durch internen Putsch zu wechseln.

So bleibt May wohl gar nichts anderes übrig, als zu bleiben – freilich als „lame duck“ und auf Abruf. William Hague, konservativer Ex-Parteichef und Außenminister, sagte gestern: „Die Tory Party ist eine absolute Monarchie, abgemildert durch Königsmord.“ Was nun zu kommen droht, ist genau das, wovor May mit Blick auf Corbyn gewarnt hatte: „Eine Koalition des Chaos.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2017)

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