Der Brexit reißt ein Milliardenloch in die EU-Kassa

Günther Oettinger steht vor der "Quadratur des Kreises".
Günther Oettinger steht vor der "Quadratur des Kreises".APA/AFP/EMMANUEL DUNAND
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EU-Budgekommissar Oettinger sieht große Herausforderungen. Er legte in einem Reflexionspapier sieben Schwerpunkte zur künftigen Finanzierung der EU vor.

Ist Großbritannien erst einmal nicht mehr Teil der EU, stellt sich für die verbliebenen 27 EU-Länder die Frage, wie das Budgetloch zu füllen ist. Haushaltskommissar Günther Oettinger sieht einige finanzielle Herausforderungen auf die EU zukommen. "Alleine der Ausstieg des Vereinigten Königreichs lässt uns mit einem Einnahmeminus von mindestens zehn Milliarden Euro pro Jahr zurück", sagte er am Mittwoch. Und die EU will neue Prioritäten im Bereich der Migration und Verteidigung setzen. Das könne die Gesamtlücke noch einmal verdoppeln.

Die Finanzierung gleiche "der Quadratur des Kreises", schreibt Oettinger in einer Stellungnahme auf der Website der EU-Kommission. Man müsse neue finanzielle Ressourcen finden oder "Ziele zurückschrauben".

Sieben Schwerpunkte zur künftigen Finanzierung

Am Mittwoch hat die EU-Kommission in einem Reflexionspapier fünf Optionen zur künftigen Finanzierung nach dem Brexit vorgeschlagen. Dabei hat man sieben Schwerpunkte herausgefiltert - von der Abschaffung der Mehrwertsteuer-Eigenmittel über neue Energie- und Umweltsteuern bis zu neuen Einnahmen aus einem Teil der gemeinsamen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage.

Mit dem Austritt Großbritanniens würden jedenfalls Zugeständnisse wegfallen, wie der in der Vergangenheit gewährte Rabatt an London. Dies könnte auch das Einnahmensystem grundlegend vereinfachen. Im Idealfall sollte eine tief greifende Reform mit Schwerpunkt auf den höchsten Mehrwert jegliche Rabatte überflüssig machen, heißt es in dem 40-seitigen Dokument, das Oettinger und EU-Regionalkommissarin Corina Cretu am Mittwoch in Brüssel präsentierten. Enthalten in dem Papier ist auch die Möglichkeit der Verkürzung des bisher siebenjährigen mittelfristigen Finanzrahmens auf fünf Jahre. Dabei wird die Option "5+5 Jahre" mit einer obligatorischen Halbzeitüberprüfung in den Raum gestellt.

Auch die Finanztransaktionssteuer - die es ja nicht einmal auf abgespeckter Ebene einer verstärkten Zusammenarbeit von zehn EU-Staaten gibt - wird als Eigenmittelquelle vorgeschlagen. Außerdem könnten Einnahmen aus der Geldemission sowie Erlöse aus Versteigerungen im Rahmen des Emissionshandelssystems greifen. Auch Abgaben aus dem künftigen Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS), die von in die EU einreisenden Personen zu entrichten sind, seien als neue Gebühren denkbar. Die Abschaffung der Mehrwertsteuer-Eigenmittel wird als "extreme Option" bewertet.

Investitionen in Menschen

Bei den sieben genannten Schwerpunkten werden angesichts der neuen Herausforderungen vor allem die Bereiche Flüchtlinge, Kontrolle der Außengrenzen, Sicherheit und Terrorismusbekämpfung aber auch Soziales genannt. Oberste Priorität hätten Investitionen in Menschen, also in die Bildung, Gesundheit, Gleichstellung und soziale Inklusion. Deshalb könnte nach dem Vorbild des Jugendgarantie-Programms eine mit EU-Geldern geförderte Kindergarantie eine Option sein. Zweitens sollte aus dem EU-Haushalt ein Europäischer Verteidigungsfonds finanziert werden, der mit jährlich 1,5 Mrd. Euro dotiert sei. Drittens habe die Achtung der EU-Grundwerte entscheidende Bedeutung. In dem Papier wird auf "neue Vorschläge" hingewiesen, die Auszahlung von EU-Mitteln vom Stand der Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedsländern abhängig zu machen.

Viertens sollte der EU-Haushalt eine gewisse Stabilisierungsfunktion erfüllen. Dies könnten Schutzregelungen für Investitionen, eine Rückversicherung für nationale Arbeitslosenversicherung oder ein "Rainy-Day-Fund" für unvorhergesehene Notlagen sein. Eine solche Stabilisierungsfunktion könne auch mit einer neuen, ausschließlich auf den Euroraum ausgerichteten Fiskalkapazität verknüpft werden. Diese Fiskalkapazität wiederum könnte auf längere Sicht auch einen eigenständigen Euroraum-Haushalt mit deutlich höheren Ressourcen und eigenen Einnahmequellen umfassen.

Der fünfte Schwerpunkt ist der Übergang zu neuen nachhaltigen Entwicklungsmodellen. Der Anteil erneuerbarer Energiequellen ander Stromerzeugung müsse bis 2030 nahezu verdoppelt werden, wenn die EU ihre Energie- und Klimaschutzziele erreichen soll. Sechstens seien alle bestehenden Instrumente auf den Prüfstand zu stellen. In dem Dokument wird darauf verwiesen, dass es in erster Linie um die Reform der beiden ausgabenintensivsten Politikbereiche Agrar- und Kohäsionspolitik gehe. Der Mehrwert müsse untersucht werden, also "ob Programme möglicherweise zusammengelegt oder eingestellt werden können". Überschneidungen sowie Konkurrenz- und Verdrängungseffekte zwischen EU-Programmen etwa im Infrastrukturbereich müssten vermieden werden.

Der siebente Schwerpunkt ist eine Verringerung der Zahl der Instrumente, aber gleichzeitig die Steigerung der Flexibilität der verbliebenen. Dies könnte auch interne Umschichtungen zwischen regionalen oder thematischen Prioritäten erleichtern, wenn im Krisenfall kurzfristig reagiert werden müsse.

Kürzung der Gelder für große Landwirtschaftsbetriebe?

Bei der Landwirtschaft wird als eine Option erörtert, die Direktzahlungen gezielter für die Sicherung eines Einkommens für alle Landwirte in der EU einzusetzen, vor allem für abgelegene Gebiete und die ärmsten agrarischen Betriebe. Eine solche Option könnte in der Kürzung der Direktzahlungen für große Landwirtschaftsbetriebe bestehen. Erwägenswert sei die Einführung einer nationalen Kofinanzierung der Direktzahlungen, mit der die Gesamthöhe der derzeitigen Unterstützung aufrechterhalten werde. Schließlich sollte Landwirten verstärkt Anreize gegeben werden, öffentliche Güter und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Umwelt- und Klimaschutz bereitzustellen. Diese Anreize sollten vertraglich festgelegt werden, damit sich der derzeitige Verwaltungsaufwand für alle Bauern verringere. In der Kohäsionspolitik sollte ein einziger Investitionsfonds oder ein einheitliches Regelwerk für die bestehenden Fonds für eine kohärentere Investitionstätigkeit sorgen.

(APA/Red.)

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