Analyse

Brexit: Theresa Mays nordirische Quadratur des Kreises

Premierministerin Theresa May.
Premierministerin Theresa May.(c) REUTERS (POOL)
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Die britische Premierministerin will den Widerspruch zwischen Brexit und freiem Grenzverkehr in Irland hinter mehrdeutigen Floskeln verstecken, um endlich mit der EU über künftige Wirtschaftsbeziehungen zu verhandeln.

Brüssel/London. Wenn in den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens nichts weitergeht, ist es gewöhnlich an der Zeit für Analogien aus den Bereichen Sport und Showbusiness. Einen Tag, nachdem Premierministerin Theresa May einen Deal über den künftigen Status der irisch-nordirischen Grenze platzen ließ, war es wieder einmal soweit: „Die Show findet nun in London statt“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am gestrigen Dienstag. Man sei jedenfalls bereit, um weiterzuverhandeln, sobald die britische Regierung dazu wieder in der Lage ist.

Davon war man in London am Dienstag allerdings meilenweit entfernt. May hatte sich in Brüssel darum bemüht, das Verhandlungskapitel über die zukünftige Wirtschaftsverhältnis EU-Großbritannien zu eröffnen, doch stattdessen öffnete sie daheim die Büchse der Pandora. Ihre Vereinbarung mit der Regierung in Dublin, wonach sich der nordirische Landesteil Großbritanniens auch nach dem Brexit regulatorisch an Irland (und damit an die EU) anpassen wird, wurde umgehend von der nordirischen Unionistenpartei DUP abgeschossen. Die DUP ist Mays Mehrheitsbeschafferin im Parlament – und sie lehnt es ab, dass Nordirland vom Binnenmarkt des Vereinigten Königreichs abgeschnitten wird.

Denn der montägliche Beinahekompromiss läuft genau darauf hinaus: Wenn die Briten (wie wiederholt postuliert) eine „harte“ innerirische Grenze vermeiden wollen, müssen sie dafür sorgen, dass diese Grenze nicht zur Außengrenze des EU-Binnenmarkts wird – dann nämlich lassen sich Grenzkontrollen nicht vermeiden. Der Verzicht auf die „harte“ innerirische Grenze wiederum impliziert, dass die Binnenmarktgrenze zwischen Nordirland und dem Rest Großbritanniens verlaufen muss – es sei denn, ganz Großbritannien bleibt nach dem Brexit Teil des EU-Binnenmarkts und/oder der EU-Zollunion. Doch genau das hat May bereits mehrmals ausgeschlossen.

Hoffen auf ein Wunder 2018

Wie May die Quadratur des Kreises vollbringen will, ist derzeit unklar. Die britische Regierung scheint zu beabsichtigen, diesen fundamentalen Widerspruch hinter mehrdeutigen Formulierungen zu verstecken – und darauf zu hoffen, dass sich im Zuge der Verhandlungen über ein künftiges Freihandelsabkommen mit der EU nächstes Jahr ein wundersamer Ausweg auftut.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-27 sollten eigentlich den Verhandlungsbeginn bei ihrem Treffen am 14./15. Dezember verkünden – das geht aber nur, wenn es bis dahin eine Antwort auf die irische Frage gibt.

Die inhaltlichen Differenzen innerhalb der regierenden Tories werden dabei zu einem immer größeren Problem. Während antieuropäische Hardliner die EU ohne einen Deal verlassen wollen, stellte Ruth Davidson, Tory-Parteichefin in Schottland und Zukunftshoffnung der Konservativen, gestern klar, dass eine Andersbehandlung Nordirlands für sie nicht infrage kommt. Soll heißen: Wenn die Nordiren einen Zugang zum Binnenmarkt haben sollen, dann müssen die restlichen Teile des Vereinigten Königreichs denselben Marktzugang haben. Die unausgesprochene Sorge der schottischen Tories: Zugeständnisse an Nordirland könnten in Schottland den Ruf nach der Unabhängigkeit wieder laut werden lassen. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2017)

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