Leitartikel

Wer fürchtet sich vor der Ehe homosexueller Paare?

(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Die 14 Verfassungsrichter haben entschieden: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden auf dem Standesamt heterosexuellen gleichgestellt.

Versuchen wir, die Sache nüchtern zu betrachten. Österreich nimmt im internationalen Blickwinkel weder die Rolle des progressiven Vorreiters ein, noch ist das Land unter die reaktionären Nachzügler zu zählen, was Rechte homosexueller Menschen betrifft: Adoption ist ebenso möglich wie Samenspende für lesbische Paare. Am Dienstag ist nun der Verfassungsgerichtshof einen Schritt weiter gegangen, nämlich gewissermaßen an das Ende einer Entwicklung.

Er hat ein Erkenntnis veröffentlicht, das vielleicht auf den ersten Blick überraschen mag. Homosexuelle Paare dürfen einander ab 1. Jänner 2019 vor dem Standesbeamten das Jawort geben und offiziell eine bisher nur Heterosexuellen vorbehaltene zivilrechtliche Ehe schließen. So wie bereits in 15 europäischen Ländern.

Damit entspricht das Höchstgericht, so viel darf unterstellt werden, gleichermaßen den Bedürfnissen der Politik wie der Bevölkerung. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber der Aussagekraft von Umfragen erscheint ziemlich gesichert, dass eine deutliche Mehrheit der Österreicher, nämlich bis zu zwei Drittel, eine „Ehe für alle“ befürwortet. Die Politik wiederum hat bei diesem Thema sehr zaghaft agiert – zaghaft ausgedrückt. Das heißt, sie hat weitgehend erst gar nicht proaktiv agiert und lediglich die Verpartnerung homosexueller Paare ermöglicht, die sich ihrerseits kaum von der Ehe unterscheidet. Alles andere überließ man getrost (und für nicht wenige bequem) dem Agieren des Verfassungsgerichtshofs.

Der hat das Vakuum genützt. Die Verfassungsrichter handeln auch jetzt im Sinne ihrer bisherigen Entscheidungen nur konsequent. Stück für Stück haben sie – und, nochmals deutlicher gesagt, nicht der Gesetzgeber aus eigenem Antrieb – die Rechte homosexueller Partner erweitert. Und nun den Schlusspunkt gesetzt.

Weshalb aber hat sich „die“ Politik vom Verfassungsgerichtshof diese Vorgaben machen lassen? Nun, man muss präzise sein. Letztlich waren es in der Vergangenheit die künftigen Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ, die im Nationalrat Beschlüsse von Gesetzen, die die Rechte homosexueller Paare hätten weiter fassen können, unmöglich gemacht haben. Denn, was oft vergessen/verdrängt wird: Ungeachtet rot-schwarzer Regierungen unterschiedlichster personeller Zusammensetzungen existiert ja seit dem Verlust der „Absoluten“ Bruno Kreiskys bei der Wahl 1983 im Nationalrat eine durchgängige Mehrheit von Schwarz-Blau. Die Chefs von ÖVP, Sebastian Kurz, und FPÖ, Heinz-Christian Strache, waren sich auch vor der jüngsten Wahl in ihrer öffentlich geäußerten Ablehnung einer Ehe für Homosexuelle einig. Die Haltung gerade von Kurz hat manche überrascht. Wobei auch dessen Verhalten leicht erklärt ist. Er fühlt sich als, wie er sich selbst definiert, christlich-sozialer Politiker der katholischen Kirche und deren Lehre verbunden. Dass ein ÖVP-Chef aber aus Selbsterhaltungstrieb gerade auch auf katholische Wähler Rücksicht zu nehmen hat, muss nicht wirklich überraschen.

Für die katholische Kirche aber ist die Ehe weit mehr als ein zivilrechtlich geschlossener Vertrag, der jederzeit auch wieder aufgelöst werden kann. Sie ist eines der sieben Sakramente. Und wird, den überlieferten Worten des Religionsstifters Jesus Christus folgend, als unauflöslich betrachtet. Für Katholiken könnte es zunächst relativ gleichgültig sein, wann der Staat wem Eheschließungen erlaubt. Für ihren Bereich hat die katholische Kirche ohnedies nur die Verbindung zwischen Mann und Frau als Ehe definiert.

Dennoch ist das verloren gegangene gemeinsame Grundverständnis von Gesellschaft und Kirche über einen wesentlichen Begriff nicht unbedeutend. Kardinal Christoph Schönborn sieht es folgerichtig als „beunruhigend“, wenn Verfassungsrichter die Einzigartigkeit der Ehe verneinen „und damit die Wirklichkeit“. Ja die Wirklichkeit, mit der ist es so eine Sache!

Wie gesagt: Versuchen wir, die Sache nüchtern zu betrachten. Der Verfassungsgerichtshof hat gesprochen. Causa finita. Der Kirche bleibt es aber unbenommen, ihren jahrhundertelang gehüteten Schatz katholischen Eheverständnisses zu bewahren – und ihn vielleicht vehementer, deutlicher oder auch gewinnender im Hier und Jetzt zu vermitteln.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2017)

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