Der Abgang des Chefs trifft die liberalen Neos zwar in einer Phase der Stärke, ist aber unverantwortlich. Vielleicht waren die Erwartungshaltungen zu hoch.
Schon wieder ein Rücktritt? Eines Parteichefs? Ein Jahr nach Reinhold Mitterlehner? Zwei nach Werner Faymann? Ein knappes Jahr nach Eva Glawischnig? Und dann nicht der von Christian Kern? Unglaublich. Ausgerechnet Matthias Strolz, dem selbst seine Kritiker seit Wochen konstatieren, der heimliche Oppositionschef zu sein, hört auf. Obwohl er in persönlichen Gesprächen immer wieder angekündigt hat, nicht noch einmal als Spitzenkandidat der Neos antreten zu wollen, kommt der Rücktritt früh. Zu früh.
Erstens wäre da die persönliche Verantwortung beziehungsweise Strolz' Defizit dabei. Für viele Wähler waren die Person und die Glaubwürdigkeit des charismatischen Spitzenkandidaten ein entscheidender Grund, Neos zu wählen. Wenige Monate nach Beginn der Legislaturperiode einfach abzugehen zeugt von einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein gegenüber diesen Wählern, die nun einen Parteichef bekommen, den sie nicht gewählt haben. (Gerade die Neos kritisieren bei anderen laut und gern, wenn die Partei und nicht die Persönlichkeitswahl ausschlaggebend ist.)
Zweitens sind die Neos keineswegs so in der Parteienlandschaft etabliert und fixiert, wie es Strolz gern darstellt. Die Grünen haben gerade vorgezeigt, wie man ohne breit überzeugenden Parteichef auch nach mehr als 30 Jahren über Nacht aus dem Nationalrat fliegen kann.
Drittens konnte Strolz keinen überzeugenden Rücktrittsgrund benennen: Dass er keine Lust mehr auf endlose Sitzungen, nervende Parteifreunde und lästige Journalisten habe, wäre übrigens zumindest ein nachvollziehbarer. Die Argumente, dass er sich selbst den Zeitpunkt aussuchen wolle und dass er kein Sesselkleber sei, sind das nicht. Das könnte in zwei, drei Jahren der Fall werden, wenn es einmal intern rumort.
Das wird es jetzt ganz sicher. Denn der unumstrittene Frontmann Strolz hat gekonnt überdeckt, dass die heikle politische Grundsatzfrage der liberalen Partei nicht entschieden worden ist: Dominiert die Neos der ernste wirtschaftsliberale oder der spaßige links-liberale Flügel? Eine aufgeschobene Festlegung, die letztlich das Liberale Forum aus dem Nationalrat katapultiert hat. Und auch bei den Grünen hat mit Alexander Van der Bellen eine Nummer eins mit Strahlkraft die zu lang nicht entschiedenen Richtungsfragen zugedeckt. Jene/r, die/der nach Strolz kommt, kann sicher sein: Darauf wird nun, da der Gründungszauber verflogen ist, mit dem Mikroskop hingeschaut werden.
Bei den Neos halten sich mehrere für Strolz-abile, allen voran Beate Meinl-Reisinger, aber auch Nikolaus Scherak. Wirklich Chancen haben die Neos mittel- und langfristig noch am ehesten mit der Wiener Gemeinderätin. Sie ist mehr Alpha als der Rest.
Warum geht Strolz also wirklich? Er dürfte an den eigenen Erwartungshaltungen gescheitert sein: In der kleinen Partei träumt man nämlich tatsächlich davon, zur 20-Prozent-Partei aufzusteigen und die führende Kraft im städtischen bürgerlichen Lager zu werden. Für solche Träume ist Strolz zu klug, zumal er Sebastian Kurz gut kennt.
Strolz selbst wollte Politik gestalten, also entscheiden, das Land verändern. Das ist ihm mit dem zweimaligen Einzug der Neos in den Nationalrat gelungen. Der für ihn zweite logische Schritt, der Einstieg als (Bildungs-)Minister in eine Bundesregierung, ist in weite Ferne gerückt. Das weiß er, daher geht er, wenn es offiziell noch am schönsten ist und für ihn am langweiligsten wird. Mit dem Ausstieg jetzt könnte er notfalls in ein paar Jahren zurückkehren, sollte das Projekt ins Schlingern geraten und sollten die entsprechenden Hilferufe ertönen.
Aber vielleicht ist der Schritt eine gute Sache: Die Fokussierung auf den geistreichen Spitzenmann hat mitunter von der wahren Gretchenfrage für Partei und Land abgelenkt: „Wie hältst du es mit dem Liberalismus?“ „Manchmal zu wenig“, lautet die Antwort für die Neos, viel zu wenig für Österreich. Die Strolz-Nachfolger(innen) mögen diese Frage beherzigen. Österreich braucht eine liberale Partei. Egal, wie sich deren Spitzenvertreter gerade fühlen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2018)