Im Herzland der Erdoğan-Partei rumort es

Die Nationalistin Meral Aksener geht mit ihrer neu gegründeten Partei auf Stimmenfang.
Die Nationalistin Meral Aksener geht mit ihrer neu gegründeten Partei auf Stimmenfang.REUTERS
  • Drucken

Statt Mitte 2019 wird in der Türkei schon am 24. Juni gewählt. Die AKP gibt sich selbstsicher. Doch im Osten des Landes hat auch die Nationalistin Akşener Zulauf.

Elazığ. Der ältere Herr mit dem akkurat gestutzten, kurzen Bart, rechnet vor: 2000 Lira erhält er Pension, davon gehen allein 400 an den studierenden Sohn. „Zu Hause sind wir nun zu dritt“, sagt er, die Finger erhebend. Nach Abzug der Miete, Lebensmittel, dieses und jenes bleibe nicht nur nichts übrig, sondern eine Reihe von Notwendigkeiten, die er sich in der heutigen ökonomischen Lage in der Türkei nicht mehr leisten könne. Wenn es nach ihm geht, sind die Tage der regierenden AKP gezählt. Er nickt, sich selbst zustimmend, während er das sagt, dabei gehört der Pensionist zum klassischen Wählerklientel der AKP: Religiös, konservativ, im anatolischen Herzland zu Hause, wo die Regierungspartei nie böse Wahlüberraschungen erleben musste; selbst einen, für Präsident Recep Tayyip Erdoğan typischen Karo-Blazer trägt er. Aber er habe immer schon nationalistisch gewählt, sagt der Pensionist, die AKP fand er allenfalls sympathisch. Und nun wird er die neu gegründete Partei der Nationalistin Meral Akşener wählen, für die AKP hege er nur mehr Groll.

Erdoğan hat die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei überraschend vorgezogen. Das hat einen hektischen Wahlkampf ausgelöst. Unter anderem erhoffte sich die hervorragend organisierte AKP dadurch einen Startvorteil. Statt Mitte 2019 wird am 24. Juni gewählt, aber die Lira befindet sich im Sinkflug und die Regierung gerät in Erklärungsnot – zumal gerade jetzt, im Fastenmonat Ramadan, die Lebensmittelpreise ohnehin ein wenig höher liegen. Im Herzland rumort es.

AKP-Herzland

In der Mittagssonne der gleichnamigen Hauptstadt der Provinz Elazığ, 700 Kilometer östlich von Ankara, sitzt der Herr mit Bart und Blazer im kleinen, verglasten Wahlbüro der IYI Partisi von Akşener. Für die Partei hat er im Frühjahr schon Unterschriften gesammelt und sich später selbst in den lokalen Vorstand wählen lassen. Seinen Namen will er dennoch lieber nicht in der Zeitung lesen. Stattdessen sagt er: „Wir hatten hier 15 Fabriken. Heute sind sie entweder geschlossen oder in privater Hand. Bis auf die Zuckerfabrik, aber die wird auch nicht überleben.“Die Provinz Elazığ liegt im östlichen Anatolien und gehört zum Herzland der AKP. Bei den letzten Wahlen im November 2015 erhielt die AKP 66,8 Prozent der Stimmen, die ultranationalistische MHP 20,9 Prozent. Alle vier Parlamentsabgeordneten aus der Provinz gehörten der AKP an. Diesmal entsendet Elazig fünf Abgeordnete – die Zahl hängt von der Bevölkerungsgröße ab. Beim Referendum zur Einführung der Präsidialrepublik im vergangenen Jahr stimmten 71,8 Prozent der Stimmberechtigten von Elazig für Erdogans Vorschlag.

Nationalisten gespalten

Die IYI Partei werde in Elazığ reüssieren, davon zeigt er sich überzeugt. Reüssieren heißt: Mindestens einen Abgeordneten stellen. Die von Elazığ in das Parlament entsandten Vertreter – im türkischen System hängt diese Zahl von der Bevölkerungsgröße ab – waren seit Gründung der AKP von der AKP. Fünf Vertreter werden es diesmal sein, und dass ein Gutteil von ihnen wieder der Regierungspartei angehören wird, scheint wahrscheinlich.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Leitartikel

Wie frustriert muss man sein, um Erdoğan die Treue zu halten?

Mit seiner Österreich-Beleidigung erweist der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, seinen „Landsleuten“ wieder einmal einen Bärendienst.
Geld & Finanzen

Türkische Notenbank erhöht Leitzins auf 17,75 Prozent

Für die türkische Währung gibt es einen Kurssprung, weil die Notenbank des Landes den Leitzins erhöht hat.
Der türkische Präsident Erdoğan erschreckt die Märkte mit der Ankündigung, die Notenbank entmachten zu wollen.
premium

Türkei: Erdoğans Kampf gegen Liraverfall

Trotz Zinserhöhungen in der vergangenen Woche ist die türkische Währung weiter abgerutscht. Präsident Erdoğan wittert indes eine internationale Verschwörung als Ursache.
Kommentare

System Erdogan: Wie der türkische Präsident die eigene Währung zerstört

Die Rettungsaktion der türkischen Notenbank für die Lira greift nicht. Die Anleger glauben nicht, dass Präsident Erdogan die Währungshüter wirklich von der Leine lässt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.