Intendant Zierhofer-Kin sollte Kuratoren engagieren, die sich gerade mit den - von ihm gern geschmähten - klassischen Kulturformen auskennen.
Shakespeares „Macbeth“, das Rolandslied, die Orestie von Aischylos, die „Troerinen“ des Euripides, Schuberts „Winterreise“, Mozarts Requiem, Tschechows „Onkel Wanja“: Was wie eine eilige Aufzählung von „Greatest Hits of Abendland“ klingen mag, ist eine Liste von Werken, die bei den heurigen Wiener Festwochen zwar nicht im Original aufgeführt, aber zumindest als Vorlagen verwendet wurden. Bei den Festwochen, deren Intendant, Tomas Zierhofer-Kin, nicht müde wurde, sich von der „elitistischen, europäischen und musealen“ Kultur zu distanzieren, zu fragen, ob sie denn heute noch „relevant“ sei.
Sie ist es offenbar, das eben zeigt die oben aufgezählte, im guten Sinn eurozentristische Themenliste. Das zeigte auch der Erfolg des Musikfests, das der von Zierhofer-Kin aus den Festwochen verdrängte Musikverein allein heuer veranstaltet hat: 64.000 verkaufte Karten, das ist fast doppelt soviel wie 2017 bei den gesamten Festwochen! (Die heutige Bilanz ist noch nicht da, sie wird nicht viel besser sein.)
Gewiss, man soll nicht nur mit Besucherzahlen argumentieren. Kultur kann elitär und trotzdem aufregend und wichtig sein. Aber die heurigen Festwochen zeigten noch etwas: Die gebotenen Bearbeitungen, Aktualisierungen alter Stoffe fügten diesen kaum je Relevantes hinzu, erst die koreanischen „Troerinnen“ ganz zum Schluss waren eine faszinierende Begegnung zwischen Ost und West. Auch die wenigen nicht mit einem Songtitel von Roxy Music als „Re-Make/Re-Model“ beschreibbaren Programmpunkte der Festwochen hielten zu oft nicht, was sie versprachen. Da waren sich Kritiker unterschiedlichster Medien erstaunlich einig. Und das sollte zu denken geben.
Es ist sicher nicht die alleinige Schuld des Intendanten. Zierhofer-Kin hat halt gesammelt, was anderswo bereits gelaufen ist, hat auf Namen vertraut, die als hip gelten, von Ersan Mondtag über Susanne Kennedy bis Boris Charmatz. Das kann man ihm nicht vorwerfen: Festwochen nur aus Eigenproduktionen kann sich Wien nicht leisten. Soll es auch nicht: Die Festwochen waren immer auch so etwas wie ein Fenster zur internationalen Kulturwelt. Was man schon kritisieren darf, ist sein offenbar bisweilen mangelndes Augenmerk auf Qualität. Diesmal leider auch im popkulturellen Bereich, der ihm doch naheliegt: Eine Revival-Show der Achtzigerjahre-Band New Order als „immersive Lichtarchitektur“ zu verkaufen und eine Noise-und-Nebel-Kammer aus den frühen Neunzigern (Feed.X) als „immersive, performative Installation“ in die Gegenwart zu beamen, das ist zu wenig. Apropos immersiv: Die Flut an modischen, oft pseudorevolutionären Schlagwörtern im Programmheft ist im Vergleich zum Vorjahr etwas abgeflaut, die atemlose PR-Sprache wirkt noch immer etwas peinlich. Manchmal beschleicht einen der Verdacht, dass Zierhofer-Kin, unbestreitbar ein Mann des Wortes, sich selbst von solchen Texten – die ja weltweit von Kuratoren produziert werden – allzu leicht beeindrucken lässt.
Nach diesen Festwochen werden wohl wieder manche fordern, Zierhofer-Kin abzuberufen. Das wäre übertrieben, eine Neubesetzung der Leitung des Wiener Volkstheaters scheint etwa viel dringender. Und Zierhofer-Kin hat es erstens mit der von ihm geforderten Neuorientierung der Festwochen nicht leicht gehabt – im Gegensatz zu früher gibt es keine großen Kulturbereiche, die nur darauf warten, durch die Festwochen endlich auch nach Wien zu kommen –, zweitens ist ihm manches doch gelungen. Vor allem die Etablierung neuer Spielorte, die helfen können, neues Publikum anzuziehen.
Dass sie's tun und dass dieses auch öfter kommt, das wird stark von der Qualität des Gebotenen abhängen, in der E-Kultur wie in der U-Kultur, und besonders dazwischen. Wenn es nicht so nach Managersprache klänge, würde man sagen: Zierhofer-Kin braucht schon in der Programmauswahl Mechanismen der Qualitätskontrolle. Er braucht Kuratoren im Wortsinn: vor allem solche, die sich mit den klassischen Genres auskennen, die er gern öffentlich abkanzelt. Das ist übrigens nicht cool, und das sollte er sich abgewöhnen, und zwar tunlichst schon vor den nächsten Festwochen.
E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2018)