Seit drei Jahren führt Patrick Schönberger das ehemalige Naber-Kaffee in der Wiedner Hauptstraße. Eine Zeitreise ins Lebensgefühl der 60er-Jahre. Oder doch in die Zukunft?
Dass „Wien ein Dorf ist“, wissen Zugereiste schon lang, die hier mehr Bekannten über den Weg laufen als in der alten Heimat. Dass sich in den Grätzeln eigene Dorfgemeinschaften erhalten und in den letzten Jahren neu gebildet haben, ist aber eine andere Geschichte. Wie jene rund um die Wiedner Hauptstraße 40: Man kommt auf einen Espresso und bleibt auf mindestens zwei Melange.
„Jeder kennt hier jeden“, erzählt Patrick Schönberger, der das Lokal vor drei Jahren übernommen hat. „Hier hat man ein Auge aufeinander, man passt auf, man hält zusammen.“ Als etwa die Metallwarenhandlung Goldene Kugel schließen musste, war die Aufregung groß. „Da wurden Briefe an die Fensterscheiben gepickt.“ Mittlerweile sind im Geschäft wieder Metallwaren erhältlich.
Bunter Stilmix
Auch der Umbau des 1958 von Ernst Otto Hofmann für Friedrich Naber errichteten Cafés zur Schönbergers Steh-Caffè-Bar war damals Anlass für Besorgnis. „Wir hatten ein halbes Jahr geschlossen, und ich wurde oft gefragt, ob dann das Café wegkommt.“ Im Gegenteil: Es steht mittlerweile unter Denkmalschutz.
Der aus Linz stammende, heute im fünften Bezirk wohnende Cafetier war nach einem WU-Studium als Marketingexperte tätig, bevor er sich in Sachen Kaffee kundig machte. Zuerst für Naber-Kaffeemaschinen und vor drei Jahren als Gastronom. „Das war aber nicht schwer, als Akademiker kann man sich sowieso einen Gewerbeschein lösen“, erklärt er. „Skurril, aber Gesetz.“
Das Schönbergers gleicht jedenfalls einer Zeitkapsel: Außen umranden gelbe Fliesen die asymmetrische Glasfront, die das Café quasi im eigenen Schaufenster präsentiert. Dort wurden auch zwei Hingucker platziert: ein roter und ein gelber Sessel, „die aus einem bekannten Einrichtungshaus kommen“, bekennt Schönberger.
Sie sollen der ockerbraunen Grundstimmung des Lokals 2010er-Touch geben. Sonst dominieren die gelben Originalfliesen an Boden und Wänden und die glänzenden Kaffeebehälter hinter der fast nierenförmig abgerundeten Theke, die damals der letzte Schrei war.
(Kein) Kalter Kaffee
Gefüllt ist sie mit Kindheitserinnerungen à la Pellegrino Aranciata oder Sanbitter, Crodino und Campari Soda. Gebäck und Zeitungen sind ebenfalls vorrätig. Und natürlich Kaffee. Zum Trinken – und als Bohnen zum Kaufen: Über 50 Trommelröstungen bietet er feil. Und die passenden Maschinen dazu.
„Die Qualität muss einfach stimmen“, erklärt er die Basis guten Kaffees. „Dann die richtige Temperatur und der richtige Milchschaum.“ Und man müsse die Maschine ordentlich pflegen. Ungewöhnlicher Sommertrend ist kalter Kaffee (Cold Brew), der für Uneingeweihte wie Wasser aussieht. Das gesammelte Wissen gibt er gern in Hobbybarista-Kursen weiter.
Viel Platz gibt es nicht – und das sei auch gut so, meint Schönberger. „Ein Raum voller Menschen reicht.“ In der warmen Jahreszeit stehen Tischchen auf dem Gehsteig, eingerahmt von viel Grün, auch Himbeeren sind dabei. Der Leiter des nahen Spar ist ebenso zu Gast wie andere Geschäftstreibende. Bei seinem ersten Besuch habe er sich vorgestellt und gemeint, in dieser Filiale würde man auf Coffee to go verzichten, man wolle einander nicht das Geschäft wegnehmen. Natürlich komme er auch mit seinen Geschäftskunden hierher.
Schönberger selbst ist gern auf einen Sprung beim „philosophischen Rahmenhändler“ (Wiedner Hauptstraße 37) oder dem Reifenschuster (Nr. 35). „Und ohne das Restaurant Wang und Die Kochdame von gegenüber müssten wir ziemlich darben.“
Zum Ort, zur Person
Die Wieden wurde 1850 durch Zusammenschluss mehrerer Orte zum vierten Wiener Bezirk, 1861 wurde der fünfte Bezirk abgetrennt. Die dörfliche Struktur hat sich zum Teil erhalten. Geschäftsflächen kosten in A-Lagen bis zu 31,7 Euro/m2 (Flächen bis zu 60 m2), bei bis zu 150 m2 16,8 Euro/m2, in Nebenlagen zwischen 5,9 und 8,6 Euro/m2. Patrick Schönberger führt das 1958 errichtete, heute denkmalgeschützte Café Wiedner Hauptstraße 40. www.schönbergers.at