Was lehren uns der Fall Relotius, Hannah Gadsby und die moderne Literatur? Wir dürfen Erzähltem nicht einfach trauen. Kommt nach dem Ende der Geschichte das Ende der Geschichten?
Sie war die Comedy-Sensation des Jahres: Hannah Gadsby. In ihrer Show „Nanette“ (Netflix) erzählte sie von ihrem Aufwachsen als lesbischer Teenager in Tasmanien. Von ihrer bigotten Verwandtschaft. Den überforderten Freunden. Vom homophoben Kerl an der Bushaltestelle, dem sie mit einem coolen Spruch das Maul gestopft habe. All das erzählte sie, um uns in der zweiten Hälfte des Abends zu überraschen: Sorry, stimmt alles nicht. In Wirklichkeit war die Reaktion der Freunde ganz okay, das mit der Verwandtschaft ist komplizierter. Und ihre Schlagfertigkeit hat ihr damals nichts genutzt: Der Typ an der Bushaltestelle hat sie krankenhausreif geprügelt. Sie habe eine zugerichtete Version ihres Lebens erzählt, weil sie besser zur Show passe. Dazu habe sie keine Lust mehr. Darum höre sie als Comedian auf.
Claas Relotius war ein Shootingstar. 33 Jahre alt, „Spiegel“-Redakteur, viermal mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Doch dann kam heraus, dass seine Reportagen zum Teil gefälscht waren. All diese hübschen, intimen Beobachtungen von Menschen, die beim Verlassen ihres Hauses den Schlüssel dreimal umdrehen, von Handknöcheln, die weiß hervortreten, von der US-Kleinstadt, in der immer noch „American Sniper“ im Kino läuft. Erlogen. Was soll man da noch glauben?