Nachhaltiger Erfolg der neuen Machthaber hängt von der Reaktion äußerer Akteure ab. Russland, China und die USA wetteifern um Militärbasen und vor allem um Rohstoffe.
Moskau. Nach dem blutigen Umsturz in der zentral-asiatischen Republik Kirgisistan vom Mittwoch stand für Kenner der Region sogleich fest: Der nachhaltige Erfolg der binnen fünf Jahren zweiten Revolution werde vorwiegend davon abhängen, wie jene drei großen Mächte, die in Kirgisistan ihre speziellen Interessen haben, zu den Ereignissen stehen: Russland, die Volksrepublik China und die USA.
Längst sprechen Beobachter von einem neuen „Great Game“, einer Neuauflage des Ringens äußerer Mächte um Einfluss im Herzen des asiatischen Kontinents. Kirgisistan ist nur ein kleiner Teil der riesigen Region. Es geht um ganz Zentral-Asien, sprich um jene fünf „Stan-Länder“, die einst Teil der Sowjetunion waren und seit deren Zerfall als eigenständige Staaten existieren: Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und eben Kirgisistan.
Für die Weltpolitik interessant sind sie aufgrund ihrer geostrategischen Lage zwischen China, Russland und dem Hindukusch. „Washington und Peking zeigen Moskau klar, dass es Russland keine Dominanz in der Region erlauben wird“, meint Stephen Black, Professor am US Army War College. Einst Monopolmacht in der Region, hat Moskau seit Beginn des Krieges in Afghanistan 2001 Platz machen müssen. Wiederholt im Clinch mit Moskau, haben einige Stan-Staaten den Amerikanern im Tausch gegen gutes Geld erlaubt, über zentral-asiatische Militärbasen den Nachschub für Afghanistan zu organisieren.
China im Vormarsch
Wie dabei die Interessen kollidierten, zeigte sich dabei zuletzt gerade in Kirgisistan. Zwischenzeitlich rang Moskau den Kirgisen mit Schuldnachlässen und günstigen Millionenkrediten sogar das Versprechen ab, die US-Basis Manas zu schließen und dafür eine zweite russische Basis zu eröffnen. Weil die Regierung in Bischkek aber die Hand auch in Richtung Amerikaner aufhielt und riesige Investitionszusagen seitens des US-Verbündeten Türkei erhielt, durfte das US-Militär doch im Land bleiben. Das Interesse an Zentral-Asien ist freilich vielschichtiger. „Die Regeln im großen Spiel haben sich von militärischen und politischen Aspekten hin zu wirtschaftlichen verlagert“, meint Andrej Suzdalcev, Zentral-Asien-Experte der Moskauer „Higher School of Economics“. Zwar sind die wirtschaftlichen Bande zwischen Moskau und Zentralasien nach wie vor eng. Einer neuen Studie der russischen Sberbank zufolge aber gewinnt China zum Nachteil der Russen Anteile im Handel mit Zentral-Asien.
EU ein „nachrangiger Spieler“
Der wirklich große Wettbewerb freilich findet auf dem Gebiet von Wasserkraftprojekten und vor allem Rohstoffen statt. Am meisten mit ihnen gesegnet ist Kasachstan, das sich als Motor einer Integration der teils zerstrittenen Stan-Staaten versteht, sich in dieser Rolle laut Andrea Schmitz von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik aber überschätzt. Sitzt Kasachstan auf Gas, Öl, Uran und Metallen, so gilt Turkmenistan als einer der größten Gasstaaten der Welt. Beim Export lange von der einzigen Pipeline durch Russland abhängig, haben die Chinesen im Dezember eine neue Pipeline ins Reich der Mitte eröffnet. Auch der Iran kauft zu, die USA drängen hinein. Und die EU hofft auf Lieferverträge für die geplante Pipeline Nabucco. Das große Interesse von außen nutzen die autokratischen Herrscher innenpolitisch.
Die EU werde „auch langfristig ein nachrangiger Spieler bleiben“. Es sei China, das wegen seiner großen Ökonomie und seines Energiehungers in Zentral-Asien der begehrteste Partner sei, meint Suzdalcev. Und im Unterschied zu Russland habe auch China „keinen kolonialen Zugang“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 9. April 2010)