Wie türkisch sind Wiens Schulen?

(c) Clemens Fabry
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Ist die jüngste Aufregung um ein mögliches türkisches Gymnasium berechtigt? Nicht ganz. Insgesamt werden in Wien 22 verschiedene Sprachen für den muttersprachlichen freiwilligen Unterricht angeboten

Die Aussage des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, er könne sich eine türkische Schule in Wien vorstellen, hat zu heftigen Diskussionen geführt. Was spricht gegen eine solche Schule, was dafür? Welche Möglichkeiten gibt es für Migranten derzeit, Türkisch zu lernen? „Die Presse“ analysiert im Folgenden die Probleme:

1. Was will Michael Häupl, was die türkische Botschaft?

Der Wiener Bürgermeister kann sich eine türkische Schule nach dem Vorbild des Lycée Français, der Vienna International School und der Komensky-Schule vorstellen. Im Klartext: Eine türkische Privatschule auf hohem Niveau, in der Unterricht auf Türkisch (eventuell) nach türkischem Lehrplan stattfindet. Finanzieren müsste diese Schule der türkische Staat (oder eine Institution). Die Schüler müssten Schulgeld bezahlen, weshalb nur ein sehr gehobenes türkisches Klientel interessiert wäre. Was Häupl aber klarstellt: Es kann maximal nur eine derartige, türkisch geführte Schule in Wien geben – falls der Bedarf gegeben ist.

Die türkische Botschaft in Wien fordert keine eigene Schule, sondern will mehr türkische Lehrer, mehr türkischen Unterricht und mehr Möglichkeiten, mit Türkisch (als zweite lebende Fremdsprache wie Italienisch, Französisch oder Spanisch) zur Matura antreten zu können. Wichtig ist aber allen, dass Migranten die deutsche Sprache erlernen.

2. Gibt es eine türkisch-bilinguale Schule in Wien?

Nicht mehr. Für eine bilinguale Schule, in der fast ausschließlich in einer Fremdsprache unterrichtet wird, muss die Hälfte der Schüler laut Gesetz eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Das erfüllen derzeit nur acht bilinguale englischsprachige Wiener Schulen. Trotzdem: In Wien wurde bereits eine bilinguale türkische Schule betrieben – im 20.Bezirk, vom Schuljahr 2001/2002 bis zum Schuljahr 2004/2005. Nachdem ein vollständiger Jahrgang die Schule durchlaufen hatte, wurde die türkisch-bilinguale Ausrichtung der Schule wieder abgeschafft – wegen mangelnden Interesses der türkischen Community. Laut Stadtschulrat gab es trotz einer Werbekampagne zu wenig türkischstämmige Schüler.

3. Gibt es Schulen, in denen Türkisch unterrichtet wird?

Ja. In Wien gibt es neben Englisch oder Französisch an 131 Schulstandorten Unterricht in anderen Sprachen als Deutsch – allerdings nur als Freifach, die Unterrichtssprache bleibt Deutsch. Das freiwillige Angebot wird aber von rund 40 Prozent der Schüler mit türkischer Muttersprache genutzt.

Insgesamt werden in Wien 22 verschiedene Sprachen für den muttersprachlichen freiwilligen Unterricht angeboten; 6241 Schüler nehmen das Angebot auch an. Gleichzeitig gibt es zahlreiche Schulen, die sprachliche Schwerpunkte setzen. In diesen Schulen wird beispielsweise ein Fach zeitweise in einer Fremdsprache unterrichtet. „Fremdsprachenprojekte werden auch weiter ausgebaut“, stellt der Stadtschulrat klar. Vorbild ist ein Wiener Abendgymnasium, in dem Schüler in Türkisch (als zweite lebende Fremdsprache) maturieren können. Dieses Abendgymnasium wird derzeit von rund 60 Schülern besucht. In Wien gibt es auch ein islamisches Gymnasium. Dieses ist eine Privatschule nach dem österreichischen Privatschulgesetz unter der Aufsicht der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Arabisch- und Türkischunterricht wird angeboten.

4. Was sind die Hauptargumente für eine türkische Schule?

Von Vertretern der türkischen Community wird argumentiert, dass türkische Lehrer und Mentoren von den türkischen Kindern besser angenommen und akzeptiert werden, weil diese aus dem gleichen Kultur- und Sprachkreis kommen wie die Schüler selbst. Weiters heißt es, dass sich Kinder in der deutschen Sprache weit leichter tun, wenn sie ihre Muttersprache besser beherrschen, etwa indem sie diese im Türkischunterricht lernen.

5. Wie ist das Bildungsniveau der türkischen Kinder?

Die soziale Herkunft wird vererbt, schrieb die Soziologin Hilde Weiss in ihrer Studie „Leben in zwei Welten“, die sich mit Migranten der zweiten Generation beschäftigt. Nachdem (gerade) die türkischen Gastarbeiter, die im Zuge der Arbeitsmigration nach Österreich kamen, ein sehr niedriges Bildungsniveau hatten, wurde das laut Studie vererbt.

Kinder mit nicht deutscher Muttersprache sind in Hauptschulen und Polytechnikum deutlich überrepräsentiert – in Volksschulen ist die Muttersprache jedes zweiten Sitzenbleibers (genau: 51,7 Prozent) nicht Deutsch; womit Migrantenkinder hier noch massiver überrepräsentiert sind. Insgesamt besitzen in Wien laut Unterrichtsministerium vier von zehn Schülern einen Migrationshintergrund.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2010)

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