Ein paar Versprengte auf der Linken träumen von der guten alten Expropriation. Sie sollten sich moderne Lehrmeister suchen.
Ein Gespenst geht um im Subkontinent „Gegengift“. Nur weil ein paar linke Jungfunktionäre mitten in Europa gegen Ende des EU-Wahlkampfs Allmachtsfantasien hegen, reden wir hier in Erdberg seit Tagen über das Phänomen der Enteignung. Der radikalere Flügel an den sozialen Wurzeln unserer Bewegung nennt solche Entwendung aus Traditionsbewusstsein lieber Expropriation. Bei diesem Wort spürt man geradezu, wie Unholde armen Patienten mittels Kombizangen Zähne ziehen.
Der Begriff Enteignung hingegen ist uns viel zu philosophisch: Wer kann denn in unseren modernen Zeiten rasant wachsender Sharing Economy tatsächlich noch zwischen dem Eigenen hier und all dem Fremden dort sinnvoll unterscheiden?
Bei der internen Diskussion haben wir entdeckt, dass diverse Mitglieder unseres exklusiven „Klubs zur Wohltätigkeit“ unter Enteignung völlig Verschiedenes verstehen. Ein älterer Herr erbleichte beim Blick auf die Zwischenbilanzen seiner Abfertigung neu und angeblich seriöser Lebensversicherungen, als er all das Elend des Minuswachstums sah und stammelte: „Mundraub!“ Wer hat denn all das Geld verbraten? Schlimmer hätten nicht einmal die wildesten Trotzkisten in den Zwanzigerjahren gewütet als jene smarten Typen eines berüchtigten schwarz-blauen Kabinetts und seiner umliegenden Banken: Just zum Millennium versprachen sie mittels einer seltsam barocken dritten Säule Wohlstand für Willige im Alter. Dabei hatten sie aber offenbar nur sich selbst gemeint. Merke: Ausbeutung zielt meistens nach unten.
Ein Ökonom ergänzte, das verschüsselte Experiment sei doch noch gar nichts gegen jenes, das von der EU bei der Rettung des Euro auf griechische Art inszeniert wurde. Da verschwammen dauerhaft die Grenzen zwischen privat und Staat, bei noch viel unheimlicheren Allianzen. Dieser paradoxe Regelkreis von Solidarisierung und Privatisierung schuf durch seine für Spekulanten optimale Zinspolitik größtmögliche Expropriation – der Mitte. Sicher ist nur, dass Athen und Europas Großbanken, die den ägäischen Hang zur totalen Korruption nutzten, davon profitierten.
Die Jüngeren im Klub aber haben andere Sorgen als ein wenig Luxus in der Pension. Sie fassen den Begriff Enteignung etwas weiter. Was gibt es für künftige Generationen Persönlicheres als Ressourcen, die nicht mehr erneuerbar sind? Allein schon die Luft zum Atmen. Himmelschreiend ist der Entzug, der durch exzessive, gering versteuerte Fliegerei entsteht.
Da die derzeitige Diskussion über dringend nötige Enteignungen in linksalternativen Kreisen Berlins angestoßen wurde, sei nur fast wertfrei statistisch vermerkt: Die Wähler der Grünen in Deutschland fliegen seit Jahren von allen am meisten. Sie haben offenbar auch deshalb eine wesentlich schlechtere Ökobilanz als die Stammwähler von Union und SPD, weil sie es geschafft haben, mehr Wohlstand zu akkumulieren. Werden die Falschen zur Kasse gebeten? Diese Frage ist ausnehmend aktuell.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2019)