Spanien: Häftlinge ziehen ins Parlament ein

Die inhaftierten katalanischen Separatistenführer Sanchez und Junqueras nehmen an der Parlamentssitzung in Madrid teil.
Die inhaftierten katalanischen Separatistenführer Sanchez und Junqueras nehmen an der Parlamentssitzung in Madrid teil.(c) REUTERS (POOL)
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An der konstituierenden Sitzung der Volksvertretung nahmen auch vier katalanische Politiker teil, die vor Gericht stehen. Lang werden sie ihr Mandat aber wohl nicht ausüben dürfen.

Madrid. Sie kamen zwar nicht in Handfesseln und Häftlingskleidung, aber bewacht von der Polizei. Vier jener katalanischen Separatistenführer, die derzeit in Madrid vor Gericht stehen und seit mehr als einem Jahr in U-Haft sitzen, traten nun ihre Abgeordnetenmandate im neu gebildeten spanischen Parlament an. Der Oberste Gerichtshof, vor dem sie sich wegen des illegalen Unabhängigkeitsreferendums im Herbst 2017 verantworten müssen, hatte die Teilnahme der vier, die bei der Spanien-Wahl Ende April Parlamentssitze erobert hatten, ausdrücklich erlaubt – auch wenn sie nach der konstituierenden Parlamentssitzung wieder zurück ins Gefängnis mussten.

Als die vier Unabhängigkeitspolitiker, unter ihnen der frühere katalanische Vize-Regionalpräsident, Oriol Junqueras, den Sitzungssaal betraten, wurden sie von ihren politischen Freunden mit Beifall begrüßt. Die beiden katalanischen Unabhängigkeitsparteien Esquerra Republicana (Republikanische Linke) und Junts per Catalunya (JxCat) sind mit insgesamt 22 Abgeordneten in Spaniens neuem Parlament vertreten, in dem 350 Parlamentarier sitzen. Aus den Reihen der rechtspopulistischen Partei Vox, die die Separatisten als Staatsfeinde betrachtet, waren die Rufe zu hören: „Raus, raus!“

Vorwurf der „Rebellion“

Als der prominenteste U-Häftling, Esquerra-Chef Junqueras, Spaniens geschäftsführendem Regierungschef, Pedro Sánchez, die Hand entgegenstreckte, verweigerte sich der Sozialist nicht. Er drückte die Hand des Mannes, den der Staatsanwalt wegen des Vorwurfs der Rebellion für 25 Jahre ins Gefängnis schicken will. Innerhalb der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist Junqueras heute mit Abstand der populärste Politiker – weit vor der früheren Hauptfigur Carles Puigdemont, der sich zu Beginn der Ermittlungen gegen ihn nach Belgien abgesetzt hatte. „Wir werden niemals klein beigeben“, twitterte Junqueras aus dem Parlament. Bei der Ablegung des Amtseides schwor Junqueras zwar, die spanische Verfassung zu achten, schränkte aber ein, dass er dies „als politischer Häftling und unter rechtlichem Zwang“ tue.

Spaniens konservative Opposition, die Sánchez seit Monaten einen zu weichen Umgang mit den katalanischen Separatisten vorwirft, gab sich derweil empört. Albert Rivera, Chef der bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos (Bürger), erklärte: „Es ist eine Beleidigung des spanischen Volkes, dass die einen Abgeordnetensitz und ein öffentliches Gehalt haben, die wegen eines Staatsstreichs gegen unsere Demokratie angeklagt sind.“ Spaniens konservative Parteien hatten in der Vergangenheit die einseitigen Unabhängigkeitsbeschlüsse der katalanischen Separatisten als „Anschlag auf die Demokratie“ eingeordnet.

Aus der geschäftsführenden Sozialistenregierung verlautete derweil, dass die Anwesenheit der vor Gericht Stehenden im Parlament zeige, dass Spanien, entgegen der Behauptung der katalanischen Separatisten, ein Rechtsstaat sei. Vize-Regierungschefin Carmen Calvo erklärte im Radiosender RNE: „In Spanien existieren die gleichen Rechtsgarantien wie in Frankreich, Deutschland oder Großbritannien.“

Mögliche Suspendierung

Doch die vier katalanischen Politiker werden ihre Mandate wohl nicht lang ausüben: Sie müssen sich auf die Suspendierung ihrer Abgeordnetentätigkeit einstellen, so wie es die Parlamentsregeln im Falle der strafrechtlichen Verfolgung eines Abgeordneten vorsehen. Formell muss der Beschluss vom Parlamentspräsidium getroffen werden, dem seit Dienstag die angesehene Sozialistin Meritxell Batet vorsteht. Ebenfalls eine Katalanin, mit deren Benennung Regierungschef Sánchez ein positives Zeichen Richtung Katalonien senden wollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2019)

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