Ein Fünftel des täglich weltweit gebrauchten Öls wird durch das Nadelöhr transportiert. Experten bezweifeln, dass es dem Iran gelingen könnte, die Straße zu blockieren.
Wien. „Die Straße von Hormus ist im internationalen Handelsverkehr der wichtigste Engpass der Welt“, verlautet aus der Energieinformationsadministration (EIA), die für das US-Außenamt Analysen erstellt. An ihrer engsten Stelle zwischen Oman und Iran ist sie diese Straße tatsächlich nur 33 Kilometer breit, wobei die Schifffahrtsstraße für große Frachter nur sechs Kilometer breit ist.
2018 wurden täglich 17,4 Millionen Barrel Erdöl durch dieses Nadelöhr transportiert, das ist etwa ein Fünftel des täglichen Verbrauches weltweit. Insgesamtsind es durchschnittlich gut 30 Prozent aller weltweit über Seewege transportierte Öl- und andere Produkte, die die Straße passieren. Die Opec-Mitglieder Saudiarabien, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, Irak und Iran exportieren den größten Teil ihres Öls durch die Straße, Katar, der größte Exporteur von Flüssiggas (LNG), liefert dieses Gas ebenfalls überwiegend durch diese Straße.
Seit die USA im Mai 2018 aus dem Atomabkommen mit Iran ausgestiegen sind und den wirtschaftlichen Druck auf das Land sukzessive erhöht haben, gab es wiederholt Warnungen aus Teheran, man werde die Straße von Hormus für den Schiffsverkehr lahmlegen, falls die Amerikaner die iranische Wirtschaft abwürgen wollten. Die USA wiederum, deren Fünfte Flotte ihren Stützpunkt in Bahrain hat, betonen, dass sie ihre Interessen in der Region wahren würden – und dazu gehöre vor allem auch das Offenhalten der Seewege.
Marine-Eskorte für Handelsschiffe?
Angesichts der militärischen Überlegenheit der USA sowie ihrer arabischen Verbündeten bezweifeln Experten, ob es den iranischen Streitkräften und Revolutionsgarden gelingen könnte, die Seewege durch die Straße von Hormus und den Golf von Oman für längere Zeit zu blockieren.
Nach den jüngsten Sabotageakten gegen insgesamt sechs Tanker ist auch davon auszugehen, dass die Kriegsmarinen der USA und anderer Länder beginnen werden, Konvois von Handelsschiffen im und um den Golf zu eskortieren. Das Problem ist, dass in der sich verschärfenden Konfliktsituation ein kleiner Zwischenfall genügen könnte, um eine größere militärische Auseinandersetzung auszulösen – mit allen verheerenden Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Teheran hat möglicherweise nicht die volle Kontrolle etwa über die Houthi-Miliz in Jemen, die zuletzt wiederholt Ziele in Saudiarabien mit Sprengstoffdrohnen und Raketen angegriffen hat; Washington hat möglicherweise keine Kontrolle über die Hardliner in Riad und Dubai, die seit langem auf einen Krieg gegen Iran drängen.
Während des irakisch-iranischen Krieges (1980 bis 1988) attackierten beide Kriegsparteien mittels Minen, Raketen, Küstenartillerie und Schnellbooten gegenseitig im Persischen Golf kreuzende Handelsschiffe. Auch damals begannen Kriegsschiffe aus den USA und aus anderen Ländern, Tanker zu eskortieren. In der angespannten Situation schoß im Juli das US-Kriegsschiff Vincennes einen iranischen Passierjet mit 290 Menschen an Bord ab. (Reuters, b.b.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2019)