Wahlbeobachter in Istanbul: "Grundsätzlich geordneter" Wahlablauf

Er wird Bürgermeister von Istanbul: Ekrem İmamoğlu wurde Sonntagabend bejubelt.
Er wird Bürgermeister von Istanbul: Ekrem İmamoğlu wurde Sonntagabend bejubelt. APA/AFP/Republican People's Part
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Die Beobachter des Europarates erlebten eine professionelle Wahlausrichtung, wenn auch eine teils aggressive Stimmung. In Istanbul feierten die Anhänger von Wahlsieger İmamoğlu die ganze Nacht.

Die Beobachter des Europarates haben der Istanbuler Bürgermeisterwahl ein insgesamt gutes Zeugnis ausgestellt. In einer am Montag versandten Stellungnahme sagte der Leiter der 14-köpfigen Delegation, Andrew Dawson, dass die Wahl "kompetent" und in einer "grundsätzlich geordneten und professionellen Weise" ausgerichtet worden sei.

Am Sonntag waren bei der Wiederholung der Abstimmung in der größten Stadt der Türkei rund 10,5 Millionen Menschen aufgerufen, an rund 31.000 Urnen ihre Stimme abzugeben. Die Wahl war auch wegen der umstrittenen Annullierung der ersten Kommunalwahlrunde im März international aufmerksam beobachtet worden.

Der Europarat mit Sitz in Straßburg wacht mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über die Einhaltung der Menschenrechte in den 47 Mitgliedsstaaten. Der Europarat und der EGMR sind keine Einrichtungen der Europäischen Union.

Viele „aggressive Begegnungen"

Dawson sagte aber auch, dass die 14 Beobachter, die in rund 30 der 39 Bezirke unterwegs waren und 90 Urnen besuchten, zu viele "aggressive Begegnungen" erleben mussten. So etwas sei bei Beobachtermissionen selten, deshalb wolle er es erwähnen. Es habe Versuche gegeben, die Teams einzuschüchtern, manchmal durch Beobachter der Parteien. Die Ursache liege möglicherweise in der "angespannten Atmosphäre" am Wahltag und in den Wochen zuvor. "Es war offensichtlich, dass für viele Menschen viel auf dem Spiel stand", sagte Dawson.

Die erste Runde hatte die Wahlbehörde ausgerechnet wegen einer Formalie für ungültig erklärt. Diesmal habe die Delegation "die rigide Anwendung von Regeln" beobachtet, die in einzelnen Fällen dazu geführt habe, die Dinge schwieriger zu machen. "Wir haben auch sehr viele besorgte und gestresste Menschen gesehen, die ihr Bestes in einer schwierigen Umgebung getan haben."

Es sei "herzerwärmend" gewesen, zu sehen, dass so viele Bürger als Wahlbeobachter gedient hätten, sagte Dawson. Das und die vielen Tausend Rechtsanwälte, die an den Urnen über die Stimmen gewacht hätten, seien "bemerkenswerte Merkmale der Wahl" gewesen.

Anhänger von İmamoğlu feierten

In Istanbul haben Anhänger der Opposition bis spät in die Nacht den Wahlsieg von Ekrem İmamoğlu gefeiert. In den Oppositionshochburgen Beşiktaş und Kadıköy tanzten in der Nacht auf Montag Menschen auf den Straßen, schwenkten Türkei-Flaggen und tranken "auf die Gesundheit von Tayyip", Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Der Kandidat des türkischen Staatschefs, Ex-Ministerpräsident Binali Yıldırım, verlor die Abstimmung deutlich mit einem Rückstand von fast 800.000 Stimmen. İmamoğlu von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) kam auf 54 Prozent der Stimmen. Er hatte schon bei der ersten Wahl am 31. März einen knappen Vorsprung errungen, doch wurde die Abstimmung auf Druck der Partei von Präsident Erdogan annulliert.

Der deutsche Grünen-Politiker Cem Özdemir sprach nach der Wahl in Istanbul von der "Nachspielzeit der Ära Erdogan". Die Zustände in der Türkei seien zwar nach wie vor nicht demokratisch, aber die Menschen hätten jetzt Mut, sagte Özdemir dem Deutschlandfunk am Montag. Gleichzeitig warnte der ehemalige Grünen-Chef vor Euphorie: "Erdoğan hat das Potenzial, das Land in den Abgrund zu reißen."

İmamoğlu bezeichnete seinen Sieg als "neuen Beginn" für die Türkei. "Nicht eine einzelne Partei, sondern ganz Istanbul und die Türkei haben diese Wahl gewonnen", sagte der CHP-Politiker bei einem Auftritt in der Wahlkampfzentrale seiner Partei.

(APA/AFP/dpa)

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