Der langjährige Premier kämpft um sein politisches Überleben. Alles deutet daraufhin, dass seine Rechts-Allianz erneut die nötige Mehrheit verfehlen könnte. Diese braucht er, um der Strafverfolgung aufgrund von Korruptionsvorwürfen zu entgehen.
Enges Rennen bei der Parlamentswahl in Israel: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sein Herausforderer Benny Gantz liegen beim Wahlergebnis fast gleichauf, wie drei Prognosen von israelischen Fernsehsendern am Dienstagabend nach Schließung der Wahllokale ergaben. Weder das rechte noch das Mitte-Links-Lager hat demnach eine Mehrheit von mindestens 61 von 120 Parlamentssitzen für die Regierungsbildung.
Demnach käme der rechtsgerichtete Likud von Netanjahu auf 31 bis 33 Parlamentssitze, die Liste Blau-Weiß von Ex-Generalstabschef Gantz auf 32 bis 34 der 120 Sitze in der Knesset. Bereits im Vorfeld der Wahl war mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden gerechnet worden.
"Netanjahu hat verloren, aber Gantz hat nicht gewonnen"
"Netanjahu hat verloren, aber Gantz hat nicht gewonnen", fasste der prominente Fernsehmoderator Udi Segal die Lage in der Nacht zusammen. Man warte die offiziellen Ergebnisse ab, erklärten beide.
Das rechte Lager mit Netanjahus konservativem Likud, der Yamina-Partei von Ex-Justizministerin Ayelet Shaked und den strengreligiösen Parteien kam auf 54 bis 57 Mandate. Die rechtsextreme Ozma Yehudit (Jüdische Kraft) scheiterte an der Sperrklausel von 3,25 Prozent. Das Mitte-Links-Lager mit Gantz' Bündnis Blau-Weiß, der Arbeitspartei, der Demokratischen Union und den arabischen Parteien erhielt 54 bis 58 Mandate.
Die ultrarechte Partei Israel Beitenu ("Unser Haus Israel") von Netanjahus Rivalen Avigdor Lieberman erhielt acht bis zehn Mandate und ist damit wie erwartet der Königmacher. Lieberman hatte Netanjahu nach einer Wahl im April seine Unterstützung verweigert. Deshalb war es dem Regierungschef trotz einer Mehrheit des rechts-religiösen Lagers nicht gelungen, erneut eine Regierung zu bilden.
Gantz sprach sich wie Netanjahus Rivale Lieberman nach Veröffentlichung der Prognosen für die Bildung einer "breiten Einheitsregierung" aus. Sein Ziel sei es, die israelische Gesellschaft wieder zu einen. Gantz ist aber nur zu einer Großen Koalition ohne Netanyahu als Regierungschef bereit. Als Grund nennt er die Korruptionsvorwürfe gegen den 69-Jährigen, der seit 2009 Ministerpräsident ist.
Geht auch um Korruptionsverfahren gegen Netanjahu
Für Netanjahu ist es nämlich auch aufgrund von Korruptionsanklagen entscheidend, im Amt zu bleiben um einer Strafverfolgung möglicherweise zu entgehen. Sollte sich das Ergebnis der Wählerbefragungen bestätigen, dürften ihn die neuerlichen Wahlen diesem Ziel allerdings nicht näher gebracht haben. Hinzu kommt, dass Netanjahu eine Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Vertrauensmissbrauchs droht.
Nach der Wahl im April hatte Netanjahu, der eine Koalition mit mehreren kleineren rechtsgerichteten und religiösen Parteien angestrebt hatte, kein Regierungsbündnis zustande gebracht.
Er zeigte sich aber siegesgewiss. In der Nacht auf Mittwoch kündigte er vor Anhängern in Tel Aviv an, er wolle in den kommenden Tagen Verhandlungen über die Bildung einer "starken, zionistischen Regierung" aufnehmen. Ziel sei es, eine "gefährliche, anti-zionistische Regierung" zu verhindern. Israel befinde sich an einem "historischen Punkt" mit riesigen Chancen und Herausforderungen, "allen voran die existenzielle Bedrohung Israels durch den Iran und seine Ableger". Es dürfe keine Regierung entstehen, die sich auf "arabische, anti-zionistische Parteien" stütze, betonte Netanjahu.
Darf diesmal Gantz beginnen?
Beobachter sehen die Möglichkeit, dass Staatspräsident Reuven Rivlin bei einem Patt diesmal nicht wieder Netanjahu, sondern Gantz mit der Regierungsbildung beauftragen könnte. Rivlin will sich nach der Wahl zunächst von allen Fraktionen Empfehlungen für das Amt des Ministerpräsidenten einholen.
Wer danach die größten Chancen für die Bildung einer Regierungskoalition hat, erhält dafür zunächst vier Wochen Zeit. Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Stimmen. Mit einer neuen Regierung wird frühestens Ende Oktober gerechnet.
Die Wahlbeteiligung war höher als vor einem halben Jahr und lag bis 19 Uhr mitteleuropäischer Zeit nach Angaben des Zentralen Wahlkomitees bei 63,7 Prozent. Das sind 2,4 Prozentpunkte mehr als bei der Wahl im April zur selben Uhrzeit. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung beim letzten Mal bei rund 68 Prozent.
Netanjahu hatte bei der Stimmabgabe in Jerusalem vor einem knappen Ausgang für seine Likud-Partei gewarnt. Er schrieb bei Twitter von einer hohen Wahlbeteiligung in den "Hochburgen der Linken". Likud-Anhänger müssten sofort wählen gehen, "oder wir bekommen eine linke Regierung mit den arabischen Parteien". Auch bei vergangenen Wahlen hatte Netanjahu mit anti-arabischer Stimmungsmache seine Wählerschaft mobilisiert.
Sein Herausforderer Gantz sagte in einem Wahllokal bei Tel Aviv: "Heute stimmen wir für eine Veränderung. Wir werden Hoffnung bringen, alle gemeinsam, ohne Korruption und ohne Extremismus."
Lieberman hatte sich im Wahlkampf für eine Große Koalition von Likud, Gantz' Blau-Weiß und seiner eigenen Partei, ohne die strengreligiösen Parteien stark gemacht. Gantz ist dazu aber nur bereit, wenn Netanjahu nicht wieder Regierungschef wird.
(APA/dpa/AFP/Reuters)