EU-Klimagesetz: Anspruch und Realität

Ursula von der Leyen.
Ursula von der Leyen.(c) APA/AFP/FREDERICK FLORIN
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Die neue Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, will die EU verpflichten, spätestens 2050 nicht mehr zum Klimawandel beizutragen. Diesem Ziel stehen jedoch harte politische und ökonomische Sachzwänge entgegen.

Brüssel. Die designierte neue Präsidentin der Europäischen Kommission hat sich das Ziel sehr  hoch gesteckt: „Ich will, dass Europa noch mehr erreicht, indem es zum ersten klimaneutralen Kontinent wird“, heißt es in Ursula von der Leyens politischen Leitlinien, welche den Kurs der Kommission für die nächsten fünf Jahre skizzieren. In den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit, die am 1. November beginnen soll, werde sie „das erste europäische Klimagesetz“ vorlegen, „mit dem das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gesetzlich verankert werden soll“.

Klimaneutralität bedeutet, dass man netto nicht zum menschengemachten Klimawandel beiträgt. Schon voriges Jahr hat die Kommission ein Papier vorgelegt, welches mehrere Wege beschrieb, die ihren Berechnungen zufolge zu diesem Ziel führen würden. Doch wer diese Mitteilung genau liest, findet mehrere Gründe, an ihrer Umsetzbarkeit zu zweifeln. So wird beispielsweise en passant festgehalten, dass es derzeit keine breitenwirksame Technologie zur Festsetzung von Kohlendioxid-Emissionen gibt. Diese Abscheidung von Speicherung von CO2 ist jedoch für die Erreichung der Klimaneutralität unerlässlich – zumindest dann, wenn man in Europa auch künftig noch Schwerindustrie haben möchte. Denn da werden, beispielsweise bei der Stahlherstellung, Emissionen kraft des chemischen Verfahrens freigesetzt, also unabhängig davon, aus welcher Quelle der elektrische Strom stammt, mit dem das Werk betrieben wird. CO2-freie Stahlherstellung steckt in den Kinderschuhen. Und selbst wenn hier ein Durchbruch gelänge: Solche großen Industrieanlagen werden nicht von heute auf morgen gebaut – und auch nicht so rasch geschlossen. Die Fabriken, die 2050 klimaneutral produzieren, müssen rasch technische Realität werden. Dasselbe gilt auch für die klimaneutralen Flugzeuge, welche Europas Himmel dann durchkreuzen müssen, um von der Leyens Ziel zu erreichen. Sie müssten heute schon entworfen werden und in Richtung Serienreife gehen. Doch das ist nicht der Fall.

Was tun, wenn die Rezession zuschlägt?

Das Fliegen ist beispielhaft für die Probleme der Klimapolitik. Von der Leyen setzt auf Preissignale: „CO2-Emissionen müssen mit Kosten verbunden sein. Alle Bürgerinnen und Bürger und alle Sektoren müssen ihren Beitrag leisten.“ Sie will den Seeverkehr in das im Jahr 2005 eingerichtete Emissionshandelssystem der EU aufnehmen und den Fluglinien „nach und nach weniger kostenlose Zertifikate zuteilen“. Derzeit bekommt die Luftfahrtbranche ungefähr die Hälfte dieser Verschmutzungszertifikate gratis. Folglich erhalten sie ein schwaches Preissignal: Nur rund 700 Millionen Euro kostete es die gesamte Branche in der EU im Jahr 2018, zusätzliche Zertifikate zu kaufen. Eine Kerosinsteuer hätte stärkere Lenkungseffekte. Doch von ihr ist in von der Leyens Programm nichts zu finden.

Neben diesen technisch-ökonomischen Problemen wird die Kommissionspräsidentin auch mit politischen Hindernissen zurande kommen müssen. So ist beispielsweise ihr Vorschlag, den Straßenverkehr und den Bausektor in den Emissionshandel aufzunehmen, aus klimapolitischer Sichtweise unerlässlich. Denn das sind die beiden größten Quellen von Treibhausgasen. Doch lässt sich das gegen den Widerstand von Bauindustrie und Frächtern durchsetzen? Und was bleibt von diesen Plänen, wenn die erwartete nächste Rezession zuschlägt und europaweit die Arbeitslosigkeit steigt?

Gewissermaßen illustriert die Tagesordnung des EU-Energierats am Dienstag das Dilemma der Klimapolitik. Zuerst debattieren die Minister „den Energiesektor nach 2030“, Devise „Richtung Klimaneutralität“ – und gleich darauf „EU-Gasversorgungssicherheit vor dem Winter 2019/2020“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2019)

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