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Tödliches Attentat auf Synagoge

Straßensperre außerhalb von Halle: Die Polizei suchte nach den flüchtigen Tätern.
Straßensperre außerhalb von Halle: Die Polizei suchte nach den flüchtigen Tätern.(c) APA/AFP/RONNY HARTMANN (RONNY HARTMANN)
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Ein offenbar Rechtsextremer feuerte auf ein jüdisches Gotteshaus und einen Dönerstand in Halle und warf Sprengsätze. Mindestens zwei Menschen starben. Die Gefahrenlage sei nun aber nicht mehr akut.

Wien/Halle. 70 bis 80 Menschen hatten sich am Mittwoch zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in der Synagoge in der deutschen Stadt Halle versammelt, als der Angriff startete: Über die Überwachungskamera verfolgten die Gemeindemitglieder, wie ein schwer bewaffneter Täter, mit Tarnanzug, Stahlhelm und Gewehr ausgerüstet, versuchte, das Gotteshaus zu stürmen.

„Der Täter schoss mehrfach auf die Tür und warf auch Molotow-Cocktails, Böller oder Granaten, um einzudringen“, berichtete der Gemeindevorsteher, Max Privorozki, dem deutschen „Spiegel“. Das sagte auch ein Augenzeuge, der die Geschehnisse von draußen beobachtete. Auch über die Tür des angrenzenden jüdischen Friedhofs habe der Angreifer versucht einzudringen.

Doch die Menschen im Inneren des Gebäudes hatten Glück: Die Sicherheitstüre hielt stand. Dennoch forderte der Angriff mindestens zwei Opfer in der Nähe der Synagoge. Später wurde auf einen Dönerstand geschossen und ein Sprengsatz gegen die Fassade geworfen. Unbestätigten Meldungen zufolge wurde dort ein Mann tödlich getroffen. Zwei Menschen wurden zudem mit Schussverletzungen in das Uniklinikum in Halle eingeliefert.

Für die beiden Verletzten, die nach den Schüssen in der ostdeutschen Halle im Universitätsklinikum operiert worden sind, besteht derzeit keine akute Lebensgefahr. Das teilte Sprecher Jens Müller am Mittwochabend mit. Die Frau und der Mann hatten den Angaben nach schwerste Schussverletzungen. Die Operationen seien erfolgreich verlaufen. Nähere Angaben zur Identität und Nationalität der Patienten machte das Universitätsklinikum nicht.

Die Warnung für die Bevölkerung wurde unterdessen von der Polizei aufgehoben. "Die Gefährdungslage für die Bevölkerung wird mittlerweile nicht mehr als akut eingestuft", teilte die Polizei am Mittwoch über den Kurzbotschaftendienst Twitter mit. "Sie können wieder auf die Straße, die Warnungen sind aufgehoben."

Angeblich doch Einzeltäter

Die Behörden wollten zunächst nichts zu den Hintergründen des Verbrechens in der 233.000-Einwohner-Stadt sagen. „Wegen der besonderen Bedeutung der Tat für die Bundesrepublik“ übernahm die Bundesanwaltschaft am Mittwoch die Ermittlungen. Der „Tagesspiegel“ berichtete, dass Sicherheitskreise von einem gezielten Anschlag zu Jom Kippur ausgingen. Vermutet werde ein rechtsextremistischer Hintergrund.

Nach deutschen Medienberichten wie dem MDR Sachen-Anhalt oder dem Tagesspiegel soll es sich anders als bisher angenommen um einen Einzeltäter handeln, der festgenommen worden sei. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür von der Generalbundesanwaltschaft jedoch noch nicht. Demnach soll Mann deutscher Staatsbürger und jünger als 30 Jahre alt und weder dem Verfassungsschutz noch der Polizei bekannt sein. Ob es Komplizen oder Hintermänner gibt, wird noch genauer untersucht.

Der mutmaßliche Täter der Angriffe in der ostdeutschen Stadt Halle an der Saale soll in den sozialen Netzwerken ein Bekennervideo hochgeladen haben. In dem am Mittwoch verbreiteten Video ist zu sehen, wie offensichtlich in der Innenstadt von Halle geschossen wird. Unter anderem zeigt das Video, wie in einem Döner-Imbiss auf einen Mann geschossen wird.

Die Aufnahmen stammen wohl von einer an einem Helm befestigten Kamera. Außerdem ist zu sehen, wie ein junger Mann in Kampfanzug mit weißem Halstuch in einem Auto sitzt. Der Mann gibt in vermutlich nicht muttersprachlichem Englisch extrem antisemitische Äußerungen von sich. In dem Video sind auch Szenen am jüdischen Friedhof von Halle zu sehen.

Bus- und Bahnbetrieb eingestellt

Binnen kurzer Zeit herrschte nach der Tat in Halle Ausnahmezustand: Die Stadtregierung sprach von einer „Amoklage“. Überall waren Sirenen zu hören, Straßen blieben gesperrt, die Verkehrsbetriebe stellten den gesamten Bus- und Bahnbetrieb ein. Mehrmals wurde die Bevölkerung von der Polizei aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben oder sichere Orte aufzusuchen.

Kurze Zeit nach den Vorfällen in Halle warnte auch die Regierung im nur rund 15 Kilometer östlich gelegenen Landsberg vor einem „Schusswaffengebrauch“. Ob die beiden Vorfälle in Verbindung miteinander standen, blieb vorerst jedoch offen. Die Polizei bestätigte zunächst zwar eine Festnahme, doch dauerte der Großeinsatz der Sicherheitsbeamten auch am Abend noch an: Zwei weitere Verdächtige seien mit einem gestohlenen Auto offenbar in Richtung München geflüchtet, sagte die Bürgermeisterin von Landsberg, Anja Werner.

Doch die etwa 15 Kilometer von Halle entfernte Kleinstadt steht offensichtlich im Fokus der Polizei. Die Zufahrt zu dem Ortsteil Wiedersdorf war am Mittwoch abgesperrt. Zuvor waren auch in der Ortschaft Schüsse gefallen, wie eine Sprecherin der Polizei Halle der dpa bestätigte.

Zu den näheren Umständen des Vorfalls in dem Ort östlich von Halle wollte sie zunächst nichts sagen. Mehrere Mannschaftswagen der Polizei, darunter auch Fahrzeuge aus Sachsen, waren vor Ort. Auch zwei Krankenwagen waren zu sehen. Am Mittwochnachmittag gegen 16.00 Uhr landetet auf einem Feld bei Wiedersdorf nach Angaben eines dpa-Reporters zudem ein Hubschrauber der Bundespolizei. Angaben zu den Hintergründen machte die Polizei nicht. Sie verwies auf die Zuständigkeit der deutschen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die die Ermittlungen übernommen hat.

Nach den Schüssen in Halle haben Medien Bilder eines der mutmaßlichen Täter veröffentlicht. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ zeigte am Mittwoch ein Foto, auf dem ein dunkel gekleideter Mann mit Helm und Stiefeln zu sehen ist, der ein Gewehr im Anschlag hat. Der Sender MDR zeigte ein Video, auf dem womöglich derselbe Mann aus einem Auto aussteigt und mehrfach seine Waffe abfeuert. Die Attacke versetzte jüdische Gemeinden im ganzen Land in Alarmbereitschaft: In Leipzig, Dresden, Berlin und anderen deutschen Städten verstärkte die Polizei ihre Kräfte vor Synagogen.

Auch in Wien wurden die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen seitens der Polizei nochmals verstärkt worden. Zwar sei der Objektschutz aufgrund des jüdischen Feiertages Yom Kippur ohnehin stärker, aufgrund der unsicheren Lage in Deutschland seien nun aber auch Beamte der Sondereinheit Wega hinzugezogen worden. Seitens der Polizei betonte man aber, dass es keine konkrete Gefährdungslage gebe. Die Verstärkung sei eine reine Sicherheitsmaßnahme.

(c) Die Presse

„Feiger Anschlag“

Regierungssprecher Steffen Seibert zeigte sich in Berlin über das Verbrechen entsetzt. Er hoffe, dass der Täter oder die Täter schnell gefasst würden. Die Gedanken gingen „an die Freunde und die Familien der Todesopfer“, sagte er.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident, Rainer Haseloff, zeigte sich erschüttert über die tödlichen Schüsse. „Ich bin entsetzt über diese verabscheuenswürdige Tat“, erklärte Haseloff. Dadurch seien nicht nur Menschen zu Tode gekommen, die Tat sei „auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land“.

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat den Angriff auf eine Synagoge im ostdeutschen Halle als einen "weiteren Ausdruck für Antisemitismus in Europa" bezeichnet. Die Attacke habe am jüdischen Nationalfeiertag Yom Kippur stattgefunden und damit am "heiligsten Tag für unser Volk", sagte er in einer Mitteilung seines Büros am Mittwoch.

"Ich fordere die Behörden in Deutschland auf, weiterhin entschlossen gegen das Phänomen des Antisemitismus vorzugehen", fügte der Premierminister hinzu

Österreichs Politiker schockiert

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich am Mittwoch schockiert zu den Schüssen in der ostdeutschen Stadt Halle geäußert. Es seien "entsetzliche Nachrichten über zwei Tote und einen Angriff auf eine Synagoge in Halle - heute an #JomKippur", teilte Van der Bellen über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat nach den Schüssen vor einer Synagoge in der ostdeutschen Stadt Halle dazu aufgerufen, "alles in unser Macht stehende zu tun, um jüdische Gemeinden bestmöglich zu schützen." Via Kurznachrichtendienst Twitter forderte Kurz zudem "Null Toleranz für #Antisemitismus!". Die Nachrichten aus Halle seien "erschütternd".

Sein Mitgefühl sei bei den Opfern, ihren Angehörigen und ihren Freundinnen und Freunden. "Wir müssen alles tun, damit Jüdinnen und Juden in Sicherheit leben können", betonte der Bundespräsident. Yom (Jom) Kippur ist der höchste Festtag im Judentum.

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat am Mittwoch bestürzt auf das "antisemitisch motivierte Attentat" vor einer Synagoge in der ostdeutschen Stadt Halle reagiert. Die schreckliche Tat sei ein Zeichen, dass der Kampf gegen jegliche Form des Antisemitismus aktueller denn je ist, erklärte der ÖVP-Politiker laut einer Aussendung.

„Tief bestürzt“ zeigte sich auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein über die Gewalttaten in Halle.

(ag./strei)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2019)

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