Um die Militäroperation der Türkei in Nordsyrien zurückzuschlagen, werden syrische Regierungstruppen nahe der türkischen Grenze stationiert werden. Der Deal war mit Moskau abgesprochen.
Wenige Tage nach Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien droht eine weitere Zuspitzung der Lage in dem Grenzgebiet: Die Kurdenverwaltung in Nordsyrien hat eine Einigung mit der Regierung in Damaskus über eine Stationierung syrischer Truppen nahe der Grenze zur Türkei bekannt gegeben, um die türkische Offensive in Nordsyrien zurückzuschlagen. "Um diese Aggression zu verhindern und sich ihr entgegenzustellen, wurde mit der syrischen Regierung eine Vereinbarung erzielt", teilte die Kurdenverwaltung am Sonntag in einer Erklärung auf Facebook mit. Ein AFP-Reporter berichtete am Montag, dass bereits syrische Soldaten westlich der Stadt Tel Tamer in der Nähe der umkämpften Grenzstadt Ras al-Ain stationiert wurden.
Zuvor hatte die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana gemeldet, dass die syrische Armee Truppen nach Norden entsende, um sich der türkischen "Aggression" entgegenzustellen. Die Armee solle die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), ein Bündnis der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und arabischer Milizen, unterstützen, hieß es von Seiten der Kurden.
Ein führender Vertreter der syrischen Kurden sagte, die "vorläufige militärische Vereinbarung" sei begrenzt auf die Stationierung von Regierungstruppen entlang der Grenze zur Türkei. Syrische Soldaten würden in die Grenzstädte von Manbij bis Derik einziehen, sagte Badran Jia Kurd der Nachrichtenagentur Reuters. Politische Fragen würden beide Seiten später diskutieren.
Die Vereinbarung erfolgte den Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge gemeinsam mit Russland. Aus Moskau gab es zunächst keine Hinweise darüber, ob Russland die syrischen Truppen im Nordosten unterstützen würde. Russland ist der mächtigste Verbündete des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Das von der YPG geführte Rebellenbündnis SDF war im Kampf gegen die radikal-islamische IS-Miliz im Bürgerkriegsland Syrien ein wichtiger Verbündeter der USA.
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Damaskus lehnt kurdische Selbstverwaltung ab
Angesichts eines drohenden türkischen Einmarsches hatte die syrische Armee auf Bitten der Kurdenmilizen bereits im Dezember 2018 Truppen nach Manbij an der Grenze zur Türkei verlegt. Damaskus hatte den Kurden in der Vergangenheit wegen ihres Bündnisses mit den USA Verrat vorgeworfen. Überdies lehnt die syrische Regierung die Selbstverwaltung der Kurden ab und will, dass kurdische Gebiete wieder unter Kontrolle der Zentralregierung fallen. Assad beherrscht acht Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs große Gebiete im Zentrum sowie im Westen und im Süden des Landes. Im April hatte die Regierung zudem eine Offensive gegen die letzte große Rebellenhochburg Idlib im Nordwesten begonnen.
Die Türkei hatte am Mittwoch mit ihrem Militäreinsatz im Norden Syriens begonnen, nachdem die USA mehrere Dutzend Truppen im syrischen Grenzgebiet zur Türkei abgezogen hatten. Seitdem treiben die türkischen Streitkräfte ihre Kämpfe ungeachtet internationaler Kritik gegen die Kurdenmiliz YPG voran. Die Türkei will entlang der Landesgrenze auf syrischem Gebiet eine 30 Kilometer tiefe sogenannte Sicherheitszone errichten und verlangt den Abzug der Kurden-Miliz aus dem Gebiet. Die Türkei befürchtet ein Erstarken der Kurden jenseits ihrer Südgrenze und damit auch der nach Autonomie strebenden Kurden auf eigenem Territorium.
EU berät über mögliche Sanktionen
In Luxemburg diskutieren die Außenminister der EU-Staaten am Montag über mögliche Reaktionen auf den türkischen Militäreinsatz. Schweden hat sich im Vorfeld der Gespräche offen für ein EU-weites Waffenembargo gegen die Türkei ausgesprochen und will bei einer Verschlechterung der Lage auch Wirtschaftssanktionen oder Sanktionen gegen Einzelpersonen vorschlagen. Auch die französische Regierung hat das Thema Sanktionen aufgeworfen.
Dass es schnell eine EU-Entscheidung in Richtung Sanktionen geben wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Diplomaten in Brüssel verweisen darauf, dass die Türkei noch immer Nato-Partei sei und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise als Partner gebraucht werde. Zudem gibt es die große Hürde, dass EU-Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssten. Als wahrscheinlich gilt deswegen, dass die EU-Staaten vorerst jeweils selber entscheiden müssen, ob sie einen Waffenexportstopp oder andere Strafmaßnahmen verhängen.
Frankreich fordert angesichts der türkischen Militärintervention in Nordsyrien eine Sondersitzung der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). "Es ist jetzt wichtig, dass wir zusammenkommen, um die neuen Gegebenheiten zu bewerten", sagte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian am Montag in Luxemburg.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat vor der Möglichkeit gewarnt, dass der türkische Einmarsch in Nordsyrien die Nato-Staaten in den Krieg hineinzieht. Die Türkei ist als Nato-Mitglied mit Deutschland, den USA und anderen Staaten über einen Beistandspakt verbunden.
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am Sonntag in einen Telefonat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum sofortigen Stopp der Militäroffensive aufgefordert. Diese war auch Thema bei einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Sonntagabend in Paris. Beide warnten vor einem Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat durch das Vorgehen der Türkei in Nordsyrien. Am Sonntag hatten die kurdische Autonomiebehörde und die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitgeteilt, dass rund 780 Angehörige von IS-Extremisten aus einem Lager ausgebrochen seien.
(APA/AFP/Reuters)