Krisenmanagement hebt EU-Machtgefüge aus

Krisenmanagement hebt EUMachtgefuege
Krisenmanagement hebt EUMachtgefuege(c) AP (Virginia Mayo)
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Die geplante Wirtschaftsregierung könnte die Macht von EU-Kommission und EU-Parlament gänzlich untergraben.

BRÜSSEL. Die Wirtschafts- und Finanzkrise bringt eine Machtverschiebung in der Europäischen Union. Die von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy geleiteten Sitzungen der Staats- und Regierungschefs wurden zum Zentrum des Krisenmanagements aufgewertet. Und nun könnte die vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy forcierte „Wirtschaftsregierung“ dieses Gremium weiter aufwerten. Damit würde, wie Kritiker befürchten, die Macht der EU-Kommission als Hüterin des fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs völlig abgegraben.

Der EU-Gipfel in Brüssel legte sich diese Woche zwar noch nicht auf die Details der wirtschaftlichen Koordination fest. Klar ist aber, dass hier ähnlich wie bereits in der Außenpolitik, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit ausgebaut wird. Das heißt: Entscheidungen werden durch einen reinen Interessenabgleich der Regierungschefs fallen, nicht auf Grundlage neutraler Analysen einer vorgelagerte EU-Behörde. „Das wird zu einer Entmachtung von EU-Kommission und EU-Parlament führen“, kritisiert ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas. EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek und der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Parlament, Martin Schulz, sehen das ähnlich. Sie fordern eine Wirtschaftsregierung, die von der EU-Kommission organisiert wird und dem Parlament Rede und Antwort stehen muss. Geht es doch um wichtige Fragen, wie die gemeinsame Wettbewerbsfähigkeit, die Abstimmung der Haushalts-, und letztlich auch der Sozialpolitik (z. B. Pensionssysteme).

In der EU-Kommission selbst wächst die Sorge, dass das Beispiel der Außenpolitik Schule machen könnte. Für sie wird derzeit ein diplomatischer Dienst geschaffen, der von den Mitgliedstaaten mit Personal beschickt wird. Er ist sowohl an den EU-Rat (Außenminister) als auch an die Kommission angebunden. „Jedes Land schaut, dass es die für sich wichtigen Schlüsselpositionen okkupiert. Am Ende wird das dazu führen, dass in vielen außenpolitischen Fragen eine Pattstellung entsteht, weil sich die Regierungen schon bei der Vorbereitung von Entscheidungen gegenseitig blockieren“, so ein hoher EU-Beamter.

Inhaltliche Pattstellung

Ähnliche Entwicklungen könnten bei der Wirtschaftsregierung folgen. Auch hier sind die Interessen der Mitgliedstaaten so unterschiedlich, dass ohne vorgelagerte Vermittler kaum ein Kompromiss gefunden werden kann. Eigentlich sollte die engere ökonomische Koordination ein positives Signal der Stabilisierung bringen. Doch wie sollen so unterschiedliche Haltungen zu staatsnahen Betrieben, zur Exportpolitik wie zwischen Frankreich und Deutschland oder schwere Differenzen über den Finanzsektor zwischen den anderen großen EU-Ländern und Großbritannien ohne neutrale Vermittlung auf einen Nenner gebracht werden? Das Grundproblem ist ein rechtliches, wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande des EU-Gipfels trocken analysierte. Denn die Wirtschaftsregierung ist nicht im EU-Vertrag vorgesehen. Ihre Aufgaben seien keine Gemeinschaftsaufgaben. Deshalb gebe es gar keinen anderen Weg, als sie zwischenstaatlich zu organisieren.

Die Wirtschaftsregierung ist also so etwas wie eine nicht legitimierte Lebensgemeinschaft der EU-Regierungen, die angesichts der Krise stärker kooperieren müssen – abseits ihrer gemeinsamen demokratischen Prinzipien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2010)

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