Übergewicht bei jungen Menschen: Süchtig nach Fett

Suechtig nach Fett
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Allein der Anblick von fettem Essen löst Aktivitäten in der Hirnregion aus, die bei frühem Suchtverhalten ein Rolle spielt. Der Insulinspiegel der Jugendlichen ist in diesen Suchtkreislauf involviert.

Wenn Sie beim Donauinselfest waren, haben Sie vielleicht einige Menschen mit ungünstiger Fettverteilung gesehen“, sagt Harald Mangge vom Institut für Medizinische und Chemische Labordiagnostik der Med-Uni Graz: „Doch die allseits bekannte ,Wampe‘ ist nur die Spitze des Eisbergs.“ In den Instituten der Grazer Forscher wird die Fettverteilung des menschlichen Körpers im Detail gemessen: Beim „Lipometer“-Verfahren bildet ein Photonensensor „die genaue Topografie der subkutanen Fettmasse“ ab – sozusagen ein Bild der Fettlandschaft des Körpers.

Auf den ersten Blick (ohne Infrarotsensoren) erkennt der Laie bei Männern meist den dicken Bauch, bei Frauen ist eher das Gesäß stärker belastet. „Die Fettverteilung ist aber sehr tricky“, berichtet Mangge: „Wie die Lipometrie zeigt, geht es nicht nur um Bauchumfang und Bauchfett. Bei den Risikotypen mit ungünstiger Fettverteilung spielt auch das Nackenfett, umgangssprachlich Stiernacken genannt, eine Rolle.“

So ist der Typus mit Bauchfett (Stammfett) und Nackenfett anfälliger für Gefäßerkrankungen (Frühartherosklerosen) mit erhöhtem Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall, aber zeigt auch ganz spezielle Muster der hormonähnlichen Botenstoffe, die im Fettgewebe produziert werden. Dieser „Risikophänotyp“ der Fettverteilung wird in Graz seit Jahren systematisch erforscht, wobei die Biodatenbank Styjobs/Edecta (inklusive zahlreicher Gewebeproben) vor allem auf die Frühphase der Adipositas fokussiert, um die Prävention von Erkrankungen, die mit Fettsucht assoziiert sind, zu verbessern.

„Nun wollten wir wissen, ob dieser Risikotyp auch ein sogenanntes ,Craving‘, also suchtähnliches Verhalten, in Bezug auf Essen entwickelt“, sagt Mangge. Dazu suchte man gezielt Jugendliche: Denn je näher man an der Pubertät ist, umso empfänglicher ist man für die Entwicklung von Suchtverhalten. Einfach war es laut Mangge nicht, reichlich übergewichtige junge Menschen für die Studie zu motivieren: Es ist in dem Alter ausgesprochen schwierig, Jugendliche zum Mitmachen bei so komplexen Untersuchungen zu bewegen.

Neben der Infrarotmessung der Fettverteilung (und verhaltenspsychologischen und labordiagnostischen Untersuchungen) ging es diesmal auch in die MRI-Röhre: Ein Hochleistungsmagnetresonanztomograf wurde zur Messung von Gehirnaktivitäten in Echtzeit verwendet.


Hirnaktivität. In der Röhre wurde den (über- und normalgewichtigen) Jugendlichen am Bildschirm eine Sequenz mit neutralen Bildern (Auto, Haus, Schlüssel) und mit standardisierten Essensreizen gezeigt, die sich wiederum in leichtkalorisches, „gesünderes“ Essen (Brokkoli) und hochkalorisches Essen (vor Fett triefende Salamipizza) unterteilten.

Und tatsächlich sahen die Reaktionen bestimmter Gehirnregionen bei den übergewichtigen Jugendlichen anders aus als bei normalgewichtigen: „Im Hippocampus, einer Region, die für die Verarbeitung von Langzeitgedächtnisinhalten zuständig ist, zeigten sich bei den Übergewichtigen stark überschießende Reaktionen auf Pizzabilder und Ähnliches.“

Alle Teilnehmer mussten übrigens „halbnüchtern“ in die Röhre, sonst wäre bei großem Hunger mit einer starken Reaktion auf jegliches Essen zu rechnen gewesen. Das fragliche Hirnareal, das bei Übergewichtigen auffallend aktiv auf hochkalorisches Essen reagiert hat, steht im Zusammenhang mit Suchtverhalten und früher Prägung auf bestimmte Reize: „Dies führt zu ,Craving‘, dem unwillkürlichen Verlangen.“

Die Grazer Forscher untersuchten auch Biomarker im Blut und erwarteten, im klassischen Belohnungsmodus des Dopaminsystems Auffälligkeiten zu erkennen – wie bei anderen Suchtkrankheiten. Doch falsch gedacht: Es war das Insulin (Nüchternwert), das bei den jungen Menschen mit ungünstiger Fettverteilung und stark reagierendem Hippocampus besonders erhöht war.

„Hier zeigte sich also eine beginnende Insulinresistenz, die durch verstärkte Insulinproduktion kompensiert wird. Interessanterweise ist die Hippocampusregion stark durch Insulin beeinflussbar, dort sind viele Insulinrezeptoren vorhanden“, sagt Mangge. Welche Rolle das Insulin bei den prägenden Prozessen und suchtähnlichem Verhalten im Detail spielt, wird nun in Kooperation mit Sandra Wallner vom Institut für Pathophysiologie in Graz genauer erforscht.

„Wahrscheinlich werden übergewichtige Jugendliche ganz falsch behandelt. Wenn man mit ihnen über das Essen redet, löst dies auch Craving aus. Die üblichen Abspeck- und Diätprogramme sind für diesen Risikotyp jedenfalls nicht förderlich. Das Essverhalten und die Gier werden dadurch womöglich erst recht gefördert.“

Nun weisen die Ergebnisse des interdisziplinären Teams (mit der Neuroradiologie und Physiologischen Chemie der MedUni Graz und Psychologie der Uni Graz) darauf hin, dass man nicht nur über einfache Faktoren wie Fast-Food-Konsum und Bewegungsmangel das ganze Ausmaß der „Fettsuchtepidemie“ erklären kann, die weltweit industrialisierte Länder heimsucht. Außerdem waren weder der Body-Mass-Index noch der prozentuelle Fettanteil Anhaltspunkte, um Risikotypen herauszufiltern. „Es sind nicht jene Jugendlichen, die absolut dick wirken, die die stärksten Reaktionen auf Essensreize und die höchsten Insulinwerte zeigen“, sagt Mangge.


Fett und Krise. Besorgt zeigt sich der „Fettforscher“ auch bei anderen Aspekten der öffentlichen Gesundheit: „Manche meinen, dass es in der Krise weniger dicke Menschen geben wird – weil man sich nicht mehr alles leisten kann.“ Doch genau das Gegenteil könnte der Fall sein: „Billiges Fast Food ist noch fett- und zuckerreicher als hoch qualitative Nahrung. Und Fett und Zucker lösen verstärktes Craving aus.“ Man wird also noch ,süchtiger‘ nach hochkalorischem Essen. „Das ist ein profundes Gesellschaftsproblem, weil es die sozial schwächer gestellte Gesellschaftsschicht trifft.“

Adipositas
wird die Fettleibigkeit bzw. Fettsucht im Fachjargon genannt.

Obesity
ist der englische Ausdruck dafür (zu Deutsch Obesität).

Starkes Übergewicht
(Body-Mass-Index über 30 kg/m2) ist das Hauptmerkmal der Adipositas, die krankhafte Auswirkungen auf den Körper hat.

Die WHO unterscheidet „Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr“, „arzneimittelinduzierte Adipositas“ und „übermäßige Adipositas mit alveolärer Hypoventilation“ (verminderte Belüftung der Lungenbläschen).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2010)

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