USA

Wo Europa nur eine Nebenbaustelle ist

Es gilt als offenes Geheimnis, dass sich Angela Merkel und Donald Trump nicht ausstehen können.
Es gilt als offenes Geheimnis, dass sich Angela Merkel und Donald Trump nicht ausstehen können.(c) APA/AFP/SAUL LOEB
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Die US-Außenpolitik ist auf China und Russland fokussiert, die EU wird als heterogener Bund ohne klaren Ansprechpartner gesehen. Unter Donald Trump hat sich das Verhältnis verschlechtert, die US-Wahl könnte richtungsweisend sein.

New York. Die soeben absolvierten Parteitage der Demokraten und Republikaner dienen als Indiz für die Bedeutung anderer Großmächte in der US-Politik. Fast alles dreht sich um China und Russland, wenig um die Europäische Union. Nur kurz rückte Europa ins Rampenlicht, als ein Hummerfischer aus dem kleinen Maine im Nordosten der USA die umstrittene Handelspolitik von Donald Trump in vollen Zügen lobte.

Der Präsident habe seine Versprechen gehalten, indem er eine Vereinbarung mit der EU erzielte, wonach ein achtprozentiger Tarif auf aus den USA importierte Hummer zurückgenommen wurde. Die Häme vieler Kommentatoren ließ nicht lang auf sich warten. Als ob es nichts Wichtigeres gebe, so der Tenor. Die Vereinigten Staaten liefern pro Jahr Hummer im Wert von etwas mehr als 100 Millionen Dollar nach Europa. Das gesamte transatlantische Handelsvolumen liegt bei 850 Milliarden Dollar.

Zahlreiche Reibungspunkte

Natürlich gibt es wichtigere Reibungspunkte zwischen Washington und Brüssel. Die in mehreren EU-Mitgliedstaaten – unter anderem Deutschland und Österreich – diskutierte Digitalsteuer zählt dazu, sie ist dem Weißen Haus ebenso ein Dorn im Auge wie der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2, die Gas direkt von Russland nach Europa pumpen soll. Der Handelsdisput schwelt in größeren Dimensionen, nicht nur in der Frage um Zölle auf Hummerlieferungen. Und der US-Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran belastet das Verhältnis ebenso wie das aus US-Sicht zu geringe Militärbudget des Nato-Partners Deutschland.

Man könnte also meinen, dass die EU auch wegen der vielen durchaus bedeutenden Konflikte mit den USA eine zentrale Rolle in der Wahrnehmung der Amerikaner einnehmen würde. Weit gefehlt, es geht eben vor allem um China und Russland. Das liegt auf der einen Seite an dem Kampf um die globale Vorherrschaft, aus dem sich das zersplitterte Europa dezent heraushält, während Peking und Moskau die Supermacht USA immer wieder herausfordern und provozieren. Die Einmischung Russlands in den Wahlkampf von 2016 hat Spuren hinterlassen, und das Verhältnis zwischen den USA und China verschlechtert sich ohnehin seit Jahren kontinuierlich.

Die relative Bedeutungslosigkeit der EU in Washington liegt auf der anderen Seite aber auch an der Tatsache, dass es den Amerikanern immer noch schwerfällt, die richtige Ansprechperson in Brüssel ausfindig zu machen. „Es ist nicht klar, mit wem sich Amerika auseinandersetzen soll, wenn es eine autorisierte Stimme, die die Europäische Union vertritt, sprechen will“, sagte der frühere Außenminister Henry Kissinger nach Ende seiner Amtszeit. Ihm wird auch der legendäre Spruch zugeschrieben: „Wen zur Hölle soll ich anrufen, wenn ich mit Europa sprechen will?“ Dass er diese Aussage tatsächlich so getätigt hat, will Kissinger zwar bis heute nicht bestätigen. „Ein guter Spruch ist es aber allemal“, sagte er 2012 während eines Auftritts in Polen.

Die USA können sich nur schwer damit anfreunden, dass Europa in geopolitischen Fragen oftmals nicht als Einheit auftritt. Der Streit um die Digitalsteuer innerhalb der Union ist ebenso ein Beispiel dafür wie der Umgang mit dem chinesischen Telekommunikationsriesen Huawei. Inoffiziell und hinter den Kulissen hatte lange Zeit Berlin, und nicht Brüssel, die Führungsrolle inne, wenn es um die transatlantische Abstimmung ging. Ex-Präsident Barack Obama wurde ein ausgezeichneter Draht zu Kanzlerin Angela Merkel nachgesagt. Im Ernstfall rief Obama stets in Berlin an, auch sein letztes internationales Telefonat als Präsident im Jänner 2017 hat er mit Merkel geführt.

Offensichtlich wurde Deutschlands Führungsrolle zum Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise von 2011 und 2012. Der damalige US-Finanzminister, Timothy Geithner, telefonierte regelmäßig mit seinem Amtskollegen in Berlin, Wolfgang Schäuble – und nur selten mit Brüssel. Deutschlands Finanzminister sei die „Go-to“-Adresse für die USA gewesen, sagte Geithner einige Jahre später. Es sei „ein Vergnügen“ gewesen, mit Schäuble zusammenzuarbeiten. „Nicht, weil es einfach war, sondern weil er ein Mann der Taten – und nicht nur der Worte – war.“

Unter Donald Trump hat sich das Verhältnis zwischen der größten europäischen und der weltgrößten Volkswirtschaft deutlich verschlechtert. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Trump und Merkel nicht ausstehen können. Wenig geändert hat sich hingegen daran, dass die ersten Ansprechpartner Washingtons nicht in Brüssel sitzen. Das Weiße Haus fokussiert sich auf Frankreichs Präsidenten, Emmanuel Macron, und Boris Johnson in London. Vor allem mit dem britischen Premier verbindet Trump eine enge Freundschaft, nicht zuletzt, weil sich Trump immer wieder offen für den Brexit eingesetzt hat.

Mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU wird sich die Bedeutung Brüssels für die USA weiter verringern. Das gilt insbesondere im Fall einer Wiederwahl Trumps im November. Mit Hochdruck verhandelt das Weiße Haus ein umfassendes Handelsabkommen mit London. Laut dem Büro des US-Handelsdelegierten ist Großbritannien in Europa vor Deutschland und den Niederlanden der wichtigste Absatzmarkt. 2018 betrugen die US-Ausfuhren nach Großbritannien 66,2 Milliarden Dollar, jene nach Deutschland 57,7 Milliarden Dollar.

Verbessern dürften sich die transatlantischen Beziehungen, wenn Joe Biden Trump ablöst. Obamas ehemaliger Vize pflegt gute Beziehungen zu Berlin, eine Eskalation des Handelsdisputs ist unter seiner Führung unwahrscheinlich. Im Moment ist das Verhältnis wegen der Einführung von US-Tarifen auf Aluminium und Stahl belastet. Holt sich Trump eine zweite Amtszeit und gelingt es ihm, den Tarifkrieg mit China beizulegen, könnte sich seine Aufmerksamkeit verstärkt in Richtung Europa verlagern. Dann vielleicht doch lieber im Schatten bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2020)

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