Österreich ist ein Korruptionsparadies. Weil es schwache Gesetze und einen starken Mentalitätsdefekt hat.
Die publizistischen Nachtwächter der schwarz-blauen Devotionaliensammlung haben dieser Tage viel zu tun. Der journalistische Pöbel macht sich an den schönsten Stücken des Hauses zu schaffen. Die Karl-Heinz-Grasser-Plastik wurde wiederholt mit Buwog-Graffiti beschmiert, und jetzt bewirft man auch noch die Nachbildung des Jörg-Haider-Mausoleums mit liechtensteinischen und schweizerischen Konten.
Mutmaßlichen Konten. Denn bewiesen, da haben die Verteidiger Grassers, Haiders und der übrigen Teilnehmer an der großen Sause recht, ist noch nichts. Und das Unbehagen darüber, dass jeder, gegen den anonym Anzeige erstattet und also obligatorisch „ermittelt“ wird, als Krimineller gilt, ist berechtigt. Der meistgebrauchte Satz derzeitiger Politberichterstattung – „es gilt die Unschuldsvermutung“ – wirkt ausgesprochen zynisch angesichts der aktuellen Schuldvermutungshysterie.
Allerdings wirkt die Aufregung darüber, dass man über den Buwog-Skandal, die Hypo-Betrügereien und die mutmaßlichen Geheimkonten des ehemaligen Kärntner Landeshauptmannes bereits berichtet, obwohl es dafür noch keine Beweise gibt, ein wenig eigen. Vielleicht möchten sich die Herren Aufseher, die nachts im schwarz-blauen Museum von check, recheck und doublecheck träumen, kurz an die Zeiten des anschwellenden Bawag-Skandals erinnern? Wie war das damals mit der Wiedergabe von Gerüchten, Vermutungen und Indizien, die den größten sozialistischen Wirtschaftsskandal seit der letzten Zwischeneiszeit heraufdräuen sahen? Wie? Die Indizien haben sich dann auch als stichhaltig herausgestellt? Da schau her.
Österreich ist ein Korruptionsparadies. Nicht nur, weil es, wie transparency international am Freitag anmerkte, da und dort an legislativer Präzision fehlt. Die schwachen Gesetze sind ja nur das sichtbare Symptom eines starken Mentalitätsdefekts. Wir leben in einem Land, das ein prinzipielles Problem mit der Transparenz von Machtverhältnissen hat. Wie sollen Bürger, die nie gelernt und gesehen haben, dass zwischen Regierung, Parlament und Interessenvertretungen Unterschiede bestehen, die man in echten Demokratien als „Gewaltenteilung“ lebt, ein Sensorium dafür haben, dass intransparente Macht- und Beziehungsstrukturen etwas Problematisches sind?
Ob rund um die Hypo Alpe Adria, um die Buwog oder um die Kärntner Spezialgebarungen unter Jörg Haider Korruption im strafrechtlichen Sinn des Wortes vorliegt oder nicht, müssen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ans Licht bringen. In der grellen Sonne, die in Kärnten vor bald zwei Jahren vom Himmel auf die Seebühne gefallen ist, leuchtet aber längst die zweite Bedeutung, die im Fremdwörter-Duden für den Begriff „Korruption“ zu finden ist: „moralischer Verfall“. Karl-Heinz Grasser, Jörg Haider, Walter Meischberger, Tilo Berlin, Wolfgang Kulterer, und wie sie alle heißen: Vielleicht waren sie schlau genug, ihre Egotrips und Bereicherungstouren so anzulegen, dass sie von den gesetzlichen Korruptionsradargeräten nicht geblitzt wurden und werden. Das ändert nichts daran, dass sie in diesem zweiten Sinn des Wortes Korruptionisten in Reinkultur waren und sind. Menschen, denen jedes Gespür dafür abhandengekommen ist, was man tut und was man nicht tut.
Das ewige Gesumse der Grasser-Fans von Schüssel abwärts über die ungerechtfertigten Attacken einer „linken“, im Bedarfsfall auch „ostküstengesteuerten“ Jagdgesellschaft auf den angeblich besten Finanzminister der Zweiten Republik und seinen Ziehvater Jörg Haider ist eigentlich nur peinlich. Ja, es gibt die üblichen Unverdächtigen, deren Persönlichkeit erst durch die Abgrenzung zu Haider, Strache & Co. Konturen gewinnt. Nein, Grasser war als Finanzminister auch nicht schlechter als seine Vorgänger und Nachfolger. Dass aber ausgerechnet jene Grasser-Fans, die ihre Treue als Bürgerlichkeitsausweis vor sich hertragen, nicht sehen, dass sie einen Mann verehren, der alle bürgerlichen Tugenden vermissen lässt, die einen Menschen gegen die Versuchungen der Korruption immunisieren, ist grotesk.
Es wird schwer werden, die österreichische Justiz, was die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Korruption betrifft, an den westeuropäischen Durchschnitt heranzuführen. Es wird noch schwerer werden, die amtierende Regierung von der Notwendigkeit dieses Prozesses zu überzeugen. Der Kampf gegen die mentale Korruption der Gesellschaft durch eine jahrzehntelange „Dös moch' ma scho“-Politik erweist sich immer deutlicher als mission impossible.
michael.fleischhacker@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2010)