Leitartikel

Die Ampelkoalition und das gelbe Wien

Ging Wien wirklich davon ausg, grün bleiben zu können?
Ging Wien wirklich davon ausg, grün bleiben zu können?(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Das Verhältnis der beiden Koalitionspartner auf Bundesebene ist fragil, aber wenn es gegen die Länder geht, dann ist es doch erstaunlich stabil.

Die Corona-Fallzahlen steigen – und so wird es immer schwieriger, damit einhergehende Cluster zurückzuverfolgen. Aber da diese zumeist regional begrenzt sind, kann man sich helfen: mit einer Ampel. Dann braucht man nicht mehr den einzelnen Fällen nachzuspüren, sondern man setzt einfach Maßnahmen für den entsprechenden Bezirk.

Keiner will jedoch selbst so ein Bezirk sein. Auch die Länder wollen keine solchen Bezirke in ihren Reihen. Was zur absurden Situation führte, dass nach der ersten Testschaltung in der Vorwoche alle österreichischen Bezirke auf grün gestellt waren. Es wurde gemäß dem Motto vorgegangen: Verhinderst du mein Gelb, erhalte ich dir dein Grün.

Es wird also keine reine Bösartigkeit gewesen sein, dass der Waldviertler und Wahl-Meidlinger Sebastian Kurz mithalf, Wien auf Gelb zu stellen. Immerhin wurde auch das schwarze Graz auf Gelb gestellt. Und auch die Landeshauptstadt des schwarzen Oberösterreich ist ab jetzt gelb eingefärbt. Vielleicht kommt nach dem ersten Schock dort der rote Bürgermeister auch noch zur Vernunft. Und der Landeshauptmann. Dasselbe gilt für Wien.

Wenn das Contact Tracing wirklich effektiv ergänzt/ersetzt werden soll, dann führt an einem realistischen Bild, einer entsprechenden Farbgebung auf der Corona-Ampel, kein Weg vorbei. Die Farbe der politischen Partei, die im jeweiligen Land regiert, muss dabei egal sein. Entscheidend sind die Kriterien. Allein dass Wien davon ausgegangen ist, grün bleiben zu können, war angesichts der Zahlen einigermaßen weltfremd. Nun wird es heißen: Aber Wien testet mehr. Allerdings fließt das in die Bewertung der Coronakommission auch ein.

Freilich: Diese Kommission ist kein Gremium im luftleeren Raum, das aus lauter Fachexperten wie Virologen etc. bestehen würde. Es sitzen auch Vertreter der Länder und der Bundesregierung drinnen. Sprich: Die Politik redet mit. Und da hat sich nun auch die Bundespolitik gegenüber der Landespolitik durchgesetzt.

Diese Woche bot überhaupt einen interessanten Einblick, nicht nur in das bekannt ruppige Verhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern auch in das fragile der beiden Koalitionspartner auf Bundesebene: Begonnen hatte alles schon Ende der Vorwoche. Sebastian Kurz rief in seiner Rede zur Lage der Nation zwar einen überraschend milden Herbst aus, stellte aber – erst recht in einem Interviewreigen danach – dennoch schärfere Maßnahmen in Aussicht. Verkündet werden könnten diese aber erst am Mittwoch nach dem Ministerrat, denn man müsse zuvor ja noch mit dem Koalitionspartner sprechen.

Rudolf Anschober vom Koalitionspartner fiel dann nach der Kurz-Rede am Wochenende auf einmal ein, dass er auch so eine Rede halten könnte. Er hielt sie dann am Dienstag. Tenor: alles noch weniger schlimm. Und Maßnahmen werde man auch keine brauchen. Die Stadiontore blieben geöffnet.

Vor dem Ministerrat hatte Sebastian Kurz dann auch das Nachsehen. Anschober blieb bei seiner Linie. Kurz warnte ihn zwar, aber er konnte nichts tun. Das Ganze war jetzt zwar aus PR-Sicht – in der türkisen ÖVP nicht ganz unwichtig – blöd: Schließlich hatte man tagelang einen Spannungsbogen aufgebaut, am Mittwoch passiert was – und dann passierte nichts. Aber wie jeder gute Pokerspieler in der ÖVP seit Wolfgang Schüssel – wobei: da gab es eigentlich nur Sebastian Kurz – hatte er noch ein Ass im Ärmel: die Ampel. Wenn er sich gegen die Länder durchsetzt. Wobei da wiederum der Koalitionspartner tatkräftig mithalf, weshalb er am Mittwoch auch nicht allzu scheel angesehen wurde. Die Ampel regelt nun die Verschärfungen – fast wie von selbst.

Die Grünen haben gehalten. Auch im Fall von Wien, wo sie mitregieren. Und die ÖVP hat sich nicht von ihren Landeshauptleuten über den Tisch ziehen lassen. Die politische Ampel steht also tatsächlich weiterhin auf Türkis-Grün. Aber auch die Wiener SPÖ sollte etwas davon haben: die Inszenierung als letztes Bollwerk gegen den neuen Mitte-rechts-links-Bürgerblock aus Bourgeoisie und Boheme.

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