USA/Russland

Transatlantiker und „Putin-Versteher“

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Manche EU-Mitglieder suchen die Nähe zu Russland, andere orientieren sich an Washington.

Wien. Als vor ein paar Wochen US-Außenminister Mike Pompeo eine ausführliche Reise nach Europa unternahm, standen Warschau, Prag, Ljubljana und Wien auf dem Programm, aber nicht große EU-Metropolen und auch nicht Brüssel. Für Experten war klar: Das ist ein weiterer Versuch der Strategen im Weißen Haus, die EU subtil zu spalten, indem man auf wohlgesonnene Länder setzt. Und eine Schwächung der EU ist ja durchaus im US-Interesse.

Tatsächlich kann innerhalb der Union von einer einigen Linie gegenüber Washington keine Rede sein. Offiziell sind die transatlantischen Beziehungen für Brüssel zwar nach wie vor von hohem Wert, angesichts der Unberechenbarkeit des US-Präsidenten und des offen weitergeführten Handelskrieges herrscht derzeit gleichsam offizielle Distanz. Hier kommen jene Länder ins Spiel, die deutlich über die offizielle EU-Linie hinausgehen und mehr Nähe zu Washington suchen.

Jahrelang war dies in erster Linie die Regierung in London. Das ging Anfang des Jahrtausends unter dem früheren britischen Premier Tony Blair so weit, dass er in den Medien als „Bushs Pudel“ verspottet wurde. Seit dem Brexit sind es vor allem einige osteuropäische Länder, die an der vorderen Front der Transatlantiker stehen.

Polen zum Beispiel. Es ist aus dem historischen Verhältnis zu Moskau heraus erklärbar, dass heute die USA als Schutzmacht angesehen werden, mehr als die EU. Auch die Baltenstaaten zählen eher zum US-Freundeskreis, auch bei ihnen sind die Gründe ähnlich wie bei Polen historisch bedingt. Als ehemaliger Teil der Sowjetunion trauen sie dem Kreml weder politisch noch militärisch so recht. Zu erwähnen ist auch Rumänien, wo die USA am Schwarzen Meer Militärbasen mit Raketensystemen unterhalten.

Ambivalentes Deutschland

Dagegen hat Deutschland ein eher ambivalentes Verhältnis. Zwar lässt die Regierung keine Zweifel daran, dass ein gutes transatlantisches Verhältnis wichtig ist, Kanzlerin Angela Merkel versucht sich aber auch als Mittlerin zu Russland. Die Nähe zu den USA steht meist in umgekehrtem Verhältnis zur Beziehung zu Moskau. Die Balten und Polen sind das beste Beispiel, da sie sich aus Sorge um ihre Sicherheit gern an die USA bzw. die Nato binden. Grundsätzlich waren die offiziellen Beziehungen zwischen der EU und Russland bis 2014 gar nicht so schlecht. Seit den 1990er-Jahren gibt es z. B. ein Partnerschaftsabkommen. Doch mit der russischen Unterstützung der Rebellen in der Ostukraine und der rechtswidrigen Annexion der Krim liegt dies auf Eis. Die EU verhängte 2014 Sanktionen und verlängert diese seither regelmäßig.

Die Debatte über diese Sanktionen zeigte schon 2014 deutliche Bruchlinien innerhalb der EU auf: In Griechenland bezeichnete Syriza-Chef Alexis Tsipras die Sanktionen als einen „Schuss ins Knie“. Eine Haltung, bei der er auch als Premier blieb. In Frankreich kritisierte wiederum Nicolas Sarkozy, bis 2012 Staatschef, seinen sozialistischen Nachfolger François Hollande, weil dieser die Russland-Sanktionen unterstützte. Italien war schon unter Silvio Berlusconi ein besonderer Freund des Kremls. 2018, als EU-weit schon über Diplomatenausweisungen diskutiert wurde, weilte Putin in Rom auf Einladung von Premierminister Guiseppe Conte.

Die Debatte in der EU darüber, wie man mit Moskau umgehen soll, spitzte sich 2018 zu. In Großbritannien gab es einen Giftanschlag auf einen in Großbritannien lebenden russischen Ex-Doppelagenten und seine Tochter, mutmaßlich vom Kreml angeordnet. 16 EU-Staaten wiesen als Reaktion russische Diplomaten aus. Großbritannien gar 23 – Österreich übrigens gar keinen.

Die Reaktion darauf zeigte wieder einmal, dass die Union in Bezug auf den Kreml in mehrere Lager gespalten ist. Da sind die, die auf volle Konfrontation gehen – im konkreten Fall waren das Großbritannien, mit Abstufungen auch Polen und die Balten –, die es sich aber gleichzeitig mit dem mächtigen Nachbarn nicht ganz verscherzen wollen. Dann gibt es die Länder, die zwar Flagge zeigen, aber nicht zu scharf reagieren wollen. Das sind Frankreich, Deutschland, Finnland, teilweise auch die südeuropäischen Länder. Dann gibt es schließlich die „Putin-Versteher“ wie etwa Ungarn, dessen Ministerpräsident, Viktor Orbán, gute Beziehungen zum Kreml unterhält. Oder auch Bulgarien, die Slowakei und Griechenland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2020)

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