Pakistan und die "Hilflosigkeit" der Helfer

Reuters
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Kritik an der Regierung in Pakistan und den Einsatzkräften wegen ausbleibender Fluthilfe wächst. In Islamabad befürchtet man, dass die Armee profitieren könnte. Noch immer ist die Flut mächtiger als alle Hilfe.

Islamabad. Bald ein Monat ist seit Beginn der pakistanischen Flutkatastrophe vergangen. Doch noch immer ist die Flut mächtiger als alle Hilfe. Die Zahl der mit Trinkwasser, Lebensmitteln und Medikamenten unterversorgten Flutbetroffenen umfasst Millionen und steigt nach Schätzung des Roten Kreuzes in Pakistan täglich an.

„Die Zahl der hungernden Menschen, die keine Hilfe erreicht, ist riesig. Weil die Fluten jetzt im Süden besonders bevölkerungsreiche Gegenden erreichen, müssen wir annehmen, dass die Zahl der Hungernden weiter steigt“, sagt Michael O'Brien, Sprecher des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Islamabad (ICRC).

Regierung und Opposition in Islamabad, aber auch das pakistanische Militär und Hilfsorganisationen stehen unter enormem Bewährungsdruck. Noch hat keiner „auch nur einen Penny“ gegen die Flut gewonnen, sagt der Regierungspolitiker Hasham Baber. Der ehemalige Militär ist stellvertretender Generalsekretär der Awami-Partei (ANP). Die ANP zählt zum demokratischen Establishment des Landes, regiert als Koalitionspartner von Präsident Asif Ali Zardari und führt die von der Flut stark betroffene Provinz Khyber Pathunkhwa (KP).

Umso mehr stand die Partei zuletzt in der Kritik. Flutbetroffene und Medien warfen ihr Versagen gegenüber den Flutopfern vor. „Niemand wollte uns unsere Hilflosigkeit zugestehen“, so Baber zu der Kritik. Der langjährige, durch viele Regierungsämter gewanderte Politiker sieht sich als Verfechter des Aufbaus demokratischer Institutionen. Er bittet jeden darum, diese nicht zu überfordern.

Pakistan habe in den 63 Jahren seines Bestehens 33 Jahre Militärdikatur erlebt, sagt Baber im Gespräch in seiner Privatwohnung in Islamabad. Die Polizei und die zivile Regierungsbürokratie seien deshalb äußerst schwach. In Notsituationen könnten die demokratischen Kräfte nicht auf tragfähige staatliche Strukturen bauen.

Der Nutznießer sei auch jetzt wieder die Armee. „Die Motive der Armee sind unklar“, sagt Baber. Aus seiner Sicht fördert die Armee derzeit Kritik an der demokratischen Regierung und macht Präsident Zardari zum Sündenbock. „Deshalb muss man Zardari nicht als Person, aber sein Amt verteidigen.“ Doch auch die mächtige pakistanische Armee hat den Kampf gegen die Flut noch nicht gewonnen. „Die Armee hat am Anfang viel mit ihren Hubschraubern getan“, sagt O'Brien. Doch jetzt gehe es darum, ein tragfähiges, landesweites Verteilungsnetz für die eintreffenden Hilfsgüter zu organisieren. „Die Armee kann das nicht, sie kann nur sichere Bedingungen schaffen, damit die Vereinten Nationen und andere Organisationen ihre Hilfe schneller zu den Leuten bringen“, sagt O'Brien.

Genau hier aber liegen die Fallgruben für die vielen Helfer. Denn keiner will wirklich mit dem anderen zusammenarbeiten. Das Rote Kreuz verfügt in Pakistan über sechs Lastwagen. Die haben in den letzten Wochen 400 Lkw-Ladungen Lebensmittel ausgefahren. Das Rote Kreuz würde aber nie auf die Idee kommen, die eigenen Lebensmittel von Armeelastwagen ausfahren zu lassen. Das würde nicht nur den Spendenregeln des Roten Kreuzes widersprechen, dazu fehlt es einfach an Vertrauen.

Presse

Mangel an Vertrauen

Der gleiche Mangel an Vertrauen behindert die demokratischen Kräfte in Islamabad bei ihren Hilfsaktionen. Vor einer Woche schien der Druck der Katastrophe noch groß genug, um Regierung und Opposition zur Bildung einer gemeinsamen Flutkontrollkommission zu bewegen. Doch sie kam nie zustande. Ende vergangener Woche setzte die Regierung eigenhändig eine Kontrollkommission aus Technokraten ein, die nun über die Transparenz der Hilfsleistungen wachen soll. Die PML(N) von Oppositionsführer Nawib Sharif fühlt sich seither übergangen und schießt zurück. Schon warnen Beobachter, dass das Gezänk den Gegnern der pakistanischen Demokratie nutzen könnte. Nicht nur die Armee, auch radikale islamische Gruppen konkurrieren mit Hilfslieferungen um die Gunst der Flutbetroffenen.

Doch ANP-Politiker Baber findet die Befürchtungen übertrieben. Wenn es jetzt mit der internationalen Hilfe gelänge, die größten Ängste der Bevölkerung vor Hunger und Krankheit auszuräumen, so der Politiker, könne die zivile Regierung am Ende doch noch als der große Sieger über die Flut dastehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2010)

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