Wikileaks: "Das ist kein Journalismus"

(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

Wissenschaftler Hannes Haas meint, zu richtigem Journalismus gehöre mehr, als zugespielte Dokumente ins Internet zu stellen, wie es die Whistleblower-Seite macht.

Nun ist Julian Assange also doch der Anziehungskraft des selbst geschriebenen Wortes erlegen. Keine interpretativen Texte, keine klassischen journalistischen Formen, nur die Originaldokumente: Das ist das Credo, das die Macher der Internet-Plattform WikiLeaks, allen voran Assange, wie ein Qualitätssiegel vor sich hertragen. Die seit 2007 bestehende Plattform ist auf das Veröffentlichen geheimer Informationen spezialisiert und hat zuletzt großes Aufsehen erregt, als sie mehr als 76.000 US-Dokumente zum Afghanistankrieg auf ihrer Homepage zugänglich machte.

Assange hat jetzt mit diesem Reinheitsgebot gebrochen: Er wird als Kolumnist für das schwedische „Aftonbladet“ über die Arbeit von WikiLeaks schreiben. In Schweden fühlt sich die Organisation recht wohl: Die dortige Piratenpartei, eine politische Gruppierung, die sich der Informationsfreiheit verschrieb, stellte WikiLeaks kürzlich Server zur Verfügung. Denn die Organisation steht quasi seit ihrer Gründung im Visier der Geheimdienste, allen voran der CIA. Stehen die Server, auf denen sich die geleakten Dokumente befinden, unter dem Schutz einer Partei, wird es noch schwieriger für die Behörden, gegen WikiLeaks vorzugehen.

Assange will Herausgeber werden

Schon bisher stand in Schweden ein Teil der auf mehrere Länder verteilten WikiLeaks-Server, denn der journalistische Informantenschutz hat in Schweden Verfassungsrang. Wenn man denn das, was die Whistleblower-Seite macht, als Journalismus einstuft. Assange bewarb sich jedenfalls in Schweden schon mal sicherheitshalber für eine Herausgeberlizenz, wie die „Süddeutsche Zeitung“ kürzlich berichtete.

„Aus meiner Sicht ist das, was WikiLeaks macht, noch kein Journalismus“, sagt Hannes Haas, Leiter des Publizistik-Instituts an der Uni Wien: „Es ist nur Bereitstellen von Material.“ An dieser Stelle nehme die eigentliche Recherche erst ihren Ausgang: indem der Journalist weiter nachforscht, der „anderen Seite“ eine Möglichkeit zur Stellungnahme gibt etc. Schließlich fehlten bei WikiLeaks auch die für den Journalismus typischen Handlungen wie das Analysieren und Aufbereiten des Materials, meint Haas. Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Uni Münster, sieht noch einen wichtigen Unterschied: „Plattformen wie WikiLeaks halten sich nicht immer an journalistische Regeln, etwa den Schutz der Persönlichkeitsrechte oder Fragen des Urheberrechts.“ Der Prüfungsprozess des Materials scheine bei WikiLeaks aber sehr rigide zu sein. Das hat die Plattform mit dem Ideal eines guten Journalismus gemein.

Keine Frage, aus Gründen des Schutzes ist es für Assange und seine Handvoll Mitstreiter besser, sich als Journalisten zu definieren. Gleichzeitig verachtet der 38-Jährige alles, was einen journalistischen „spin“ hat, und setzt auf das dokumentarische Prinzip: „Journalismus sollte mehr wie Wissenschaft sein“, sagte Assange in einem Interview: „So weit wie möglich, sollten Fakten verifizierbar sein.“ Wenn Journalisten langfristig Glaubwürdigkeit für ihre Arbeit haben wollen, müssten sie in diese Richtung gehen und mehr Respekt vor ihren Lesern haben.

Aufdeckermedium mit Kontinuität

Was kann eine solche Plattform besser als traditionelle Medien? „Was den Schutz von Informanten angeht, ist WikiLeaks überlegen“, meint Forscher Neuberger. Sein Kollege Haas untermauert das mit Zahlen: Nach Berechnungen von „The Nation“ habe WikiLeaks seit 2007 mehr Scoops (Exklusivgeschichten) abgeschöpft als die „Washington Post“ in 30 Jahren. Und die „Post“ gilt als eines der Aufdeckermedien schlechthin. Neuberger: „WikiLeaks hat es geschafft, sich als Marke zu profilieren.“ Im Gegensatz zu einzelnen Bloggern, die nach einer Enthüllung oft in der Versenkung verschwinden, habe die Plattform Kontinuität bewiesen.

Die Stärke von WikiLeaks ist gleichzeitig seine Schwäche. Da sich die Plattform auf die reine Veröffentlichung von Dokumenten beschränkt, ist sie darauf angewiesen, dass traditionelle (Aufdecker-)Medien die Themen aufgreifen. Bei den Afghanistan-Papieren hat die Plattform selbst dafür gesorgt, indem das Material „New York Times“, „Guardian“ und „Spiegel“ überlassen wurde. Die haben es in guter alter journalistischer Manier geprüft. Und für die Leser aufbereitet, die vor der schieren Masse von 76.000 Dokumenten kapitulieren müssten. WikiLeaks hat also eine Gratismaterialprüfung bekommen und „sensationelle Reklame“ (Haas).

Treibt WikiLeaks die traditionellen Medien vor sich her? „Medien, die von ihrem investigativen Image leben, wie der ,Spiegel‘, können da schon unter Druck kommen, denn dieses Image ist auch kommerziell von Bedeutung“, sagt Forscher Neuberger, der freilich auch einen positiven Effekt sieht: Die Ansprüche an die Medien würden wachsen, das den Recherchen zugrunde liegende Material vorzulegen und Belege für das zu liefern, was man schreibt: „Die Storys müssen wasserdichter werden.“ Ähnlich sieht das Haas: Die Medien seien durch WikiLeaks geradezu gezwungen, sich wieder komplexeren Recherchen zu widmen, für die man sich mangels Personals oft nicht mehr die Zeit nehme. „Etwas wie WikiLeaks war längst fällig“, meint Haas: Es sei die „logische Antwort einer medienkompetenten Zivilgesellschaft“ auf die Informationsarbeit von Politik, Wirtschaft und Organisationen. Und deren Ziel ist bekanntermaßen nicht immer die Information, sondern oft das Gegenteil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Medien

In der Hand und eingespannt

Natürlich kann man sich auch einen Laptop ins Kaffeehaus mitnehmen. Aber will man das? Nein: Das Zentrum jeden guten Kaffeehauses ist der Zeitungstisch.
Medien

Print-Experiment: Die „Bild“ erschien in 3-D

Erst bügeln, dann schauen – und ohne Brille lesen!
Medien

Kann man Druckerschwärze essen?

Schwarze Farbe stellten schon Höhlenmenschen durch Kohle her. Auch heute ist Grafit in Druckerschwärze. Forscher wollen Recycling optimierten.
Medien

Jugend und Zeitung: "Haben jungen Zugang"

„Zero Hora“ wurde zur besten Zeitung für junge Leser gekürt. Produktdirektor Marcelo Rech: „Auch Papier kann cool sein.“
Bühne

Die eingebildete Zeitungskrise

Medienbeobachter Fessel über ein starkes Anzeigenjahr 2010, Strukturbereinigungen, katastrophale Dumpingpreise und das lange Leben von Printmedien.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.