Die eingebildete Zeitungskrise

(c) Michaela Bruckberger
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Medienbeobachter Fessel über ein starkes Anzeigenjahr 2010, Strukturbereinigungen, katastrophale Dumpingpreise und das lange Leben von Printmedien.

„Die Presse“: 2009 ist das Anzeigengeschäft weltweit um 17Prozent zurückgegangen, für heuer hält der Weltzeitungsverband ein Plus von 3,5Prozent für möglich. Deutsche Zeitungen erwarten mehr Gewinn als prognostiziert. Wie beurteilen Sie die Lage in Österreich?


Klaus Fessel: Die Krise 2009 betraf gewisse Branchenwie die Autoindustrie. In anderen Bereichen wie dem Handel gab es in Österreich ein starkes Plus. Und auch der Printbereich hat die Krise nicht so gespürt, wie es publiziert worden ist. Jetzt, im ersten Halbjahr 2010, hat es ein Auffüllen dieses Lochs gegeben, zum Teil wurde sogar das Niveau von 2008 übertroffen. Wir können nun von einem nachhaltigen Aufschwung sprechen, von Jänner bis Juli hatten wir in der klassischen Werbung ein Plus von 7,2Prozent, der Printbereich entwickelt sich marktproportional mit 7,9Prozent. Und die Tageszeitungen hatten acht Prozent. Sie zeigen eine sehr positive Entwicklung, sind die Hauptumsatzträger und bestimmen das Werbewachstum.


Die für 2010 angekündigte Krise hat hier also nicht stattgefunden?


Fessel: Richtig. Denn beim Konsumenten hat die Krise bis heute keinen nachhaltigen Effekt gehabt, es ändert sich derzeit ja nichts in seinem Geldbörsel. Wenn aber von der Politik bald entsprechende Einschnitte kommen, dann wird sich das auswirken.


Wie läuft das Werbe-Match der bezahlten gegen die Gratiszeitungen?


Fessel: Gratiszeitungen wie „Heute“ im Wiener Raum haben sicherlich eine positive Entwicklung, auch bei der Reichweite. Solche Gratismedien werden vom Leser und somit natürlich auch vom Inserenten wahrgenommen und geschätzt. Wobei Gratiszeitungen oft Wochenzeitungen und sehr stark regionalisiert sind. Da hat die klassische werbetreibende Industrie kein so großes Interesse, der Handel und rein lokale Werber werden es aber schon aufgreifen, weil sie es sich dort viel eher leisten können. Allerdings gibt es gerade auch bei den regionalen Gratismedien strukturbereinigende Prozesse, sie stellen sich um und müssen sich anpassen.


Erwarten Sie Strukturbereinigungsprozesse auch bei den großen Tageszeitungen in Österreich? Werden welche untergehen?


Fessel: Das kann ich mir zurzeit kaum vorstellen. Es gibt ja hierzulande enge Verflechtungen. Und solche Medien, die eigenständig sind, sind in ihren Bundesländern stark verankert. Es hängt aber natürlich von ihrem Kostendruck ab. Ich glaube nicht, dass alle Medien so profitabel arbeiten, dass sie es sich leisten können, Krisenzeiten ohne Weiteres durchzustehen. Es dauert auch eine gewisse Zeit, wenn ein Medium auf dem Markt eingeführt wird – da stellt sich die Frage, wie lange es querfinanziert wird.


Spielen Sie da auf „Österreich“ an?


Fessel: Mag sein.

Zuletzt gab es Dumpingpreise für Anzeigen, teilweise mit Einbrüchen von 70 oder 80Prozent. Glauben Sie, dass es dabei bleibt?


Fessel: Das war sicher eine Katastrophe und wird mindestens drei bis fünf Jahre dauern, bis man hier wieder zu halbwegs akzeptablen Preisen findet. Zum Teil war es natürlich auch unfair von der werbetreibenden Industrie. Zwar gab es einige Unternehmen, denen es wirklich nicht gut gegangen ist, aber unter dem Titel des Krisenjahrs 2009 wurde von vielen Druck auf die Medien ausgeübt, und es wurden bessere Konditionen ausgehandelt, von denen schwer wegzukommen sein wird. Da braucht es viel Überzeugungskraft.


Wie groß ist für die Printmedien die Konkurrenz durch Online-Auftritte?


Fessel: Zeitungen sind sicher noch länger nicht vom Markt wegzudenken,auch wenn viele das prognostizieren und der Druck speziell der jungen Bevölkerung groß ist. Denn das Internet kann Berichte besser vernetzen, und iPad-Nutzungen und dergleichen haben eine große Zukunft. Aber das steckt teils noch in den Kinderschuhen, auchentsprechende Werbemöglichkeiten. Da wird man noch mindestens fünf Jahre warten müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2010)

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