In der Hand und eingespannt

(c) Michaela Bruckberger
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Natürlich kann man sich auch einen Laptop ins Kaffeehaus mitnehmen. Aber will man das? Nein: Das Zentrum jeden guten Kaffeehauses ist der Zeitungstisch.

Das Café Prückel am Wiener Stubentor hat erstens Fläche, zweitens Flair, drittens den besten kleinen Braunen der Welt, originellerweise im Glas serviert. Leider spricht ein gewichtiges Argument gegen dieses feine Fin-de-Siècle-Kaffeehaus: mangelnde Zeitungskultur. Gewiss, es gibt dort ein ausreichendes Angebot in- und ausländischer Blätter, sogar „El País“, aber sie sind völlig chaotisch eingespannt. Und wenn z.B. das Feuilleton der „FAZ“ in drei Teile gespalten oder gar unvollständig ist, dann macht das Blättern keine Freude mehr.

Ja, ist denn das so wichtig? Natürlich! Denn Kaffeehaus und Zeitung gehören mindestens so sehr zusammen wie das Glas Wasser zur Melange und der Löffel aufs Wasserglas. Das Kaffeehaus ist vielleicht nicht mehr wie zu Torbergs Zeiten der Tagesaufenthaltsraum diverser Bohemiens, auch der spätabendliche Exzess findet nur mehr selten dort statt. (Das Café Museum, in dem die Achterln und Weltuntergangsreden einst nur so geströmt sind, ist ja leider einer schwachsinnigen Renovierung zum Opfer gefallen; und das Alt-Wien ist eine wunderbare Höhle, aber kein Kaffeehaus.) Aber es ist noch immer der Ort, an dem man Druckerschwärze ungefiltert und in großen Mengen zu sich nehmen kann.

Streng unerwünscht: Hintergrundmusik

Das Gerücht, dass die großformatigen Zeitungen hauptsächlich dazu dienen, sich vor Bekannten zu verstecken, die man nicht grüßen will, stimmt nicht: Man liest im Kaffeehaus, weil man sich dort konzentrieren kann, weil kein Telefon läutet, kein Chef ruft, keine Musik rieselt. Es ist kein Zufall, dass die wenigen Kaffeehäuser, die sich abscheulicherweise dazu entschlossen haben, Musik laufen zu lassen, zugleich ihre Abonnements eingeschränkt haben: Hintergrundmusik ist geistfeindlich und hat im Kaffeehaus nichts verloren!

Wo kann man lesen? In einem Café Ritter, wahlweise in Mariahilf oder in Ottakring. Im Café Korb natürlich, wenn man einen Platz findet. Im Hummel und im Rathaus, im Eiles und im Central, im Sperl und im Bräunerhof. Im Griensteidl: Dort gibt es noch für alle, die Wikipedia gerade nicht dabei haben, ein Konversationslexikon. Sogar im Landtmann: Dort muss man halt so tun, als bereite man sich auf eine wichtige Konspiration vor.

Der fortgeschrittene Kaffeehausleser begnügt sich nicht mit einer Zeitung, nein, er gustiert und vergleicht. Den Boulevard lässt er keinesfalls aus, schon weil Hand, Auge und Hirn sich bei den kleineren Formaten erholen können. Wer sich schämt, „Österreich“ oder „Krone“ zu observieren, muss eben von Zeit zu Zeit wissend lächeln oder die Stirne runzeln.

Wir Journalisten sehen den multiplen Zeitungskonsum freilich mit gemischten Gefühlen: Die Leser, die immer genau wissen, was die Konkurrenz im Blatt gehabt hat und wir nicht, sind in den meisten Fällen passionierte Kaffeehausleser; manchmal haben sie sogar den Rotstift bei der Hand und zögern nur, ihn einzusetzen, weil der Herr Ober streng schaut. Das tut er zu Recht: Zu seinen Obliegenheiten zählt es auch zu verhindern, dass jemand sich ein Stück aus der Zeitung reißt oder das Kreuzworträtsel ausfüllt. Das darf man erst nach 23 Uhr. Wenn man dann gleich den Sessel selbst auf den Tisch stellt.

Unartig: Das Horten von Blättern

Unbeliebt macht sich auch, wer sich alle Blätter, die er zu studieren vorhat, auf einmal an den Tisch holt, sodass der Kellner anderen Begierigen z.B. bescheiden muss: „Bedaure, ,Die Presse‘ ist in der Hand.“ Nein, dann muss eben der „Standard“ frei sein oder wenigstens die „Wiener Zeitung“. Die Platzhirsche, an deren Tischen sich Zeitungsberge stapeln, gehören von Rechts wegen vom Kellner abgemahnt. Und wenn sie sich auf sanfte Anfragen – „Entschuldigen Sie, ist die ,Süddeutsche‘ vielleicht schon frei? – ruppig geben, ist eigentlich Lokalverbot fällig. Leider sind sie oft die beharrlichsten Stammgäste, haben sich das Recht zur Papierakkumulation quasi ersessen.

Für den zivilisierten Gast ist es comme il faut, mehrmals zum Zeitungstisch zu gehen, was man nutzen kann, um auf dem Weg zu observieren, ob und welche neuen Gäste eingetroffen sind. Schließlich zählt ja auch der Mensch! Und das zufällige Zusammentreffen im Kaffeehaus ist noch immer die edelste Form menschlicher Begegnung. Schon, weil es zweckfrei ist. Man ist ja nicht zur Hetz da, nicht wegen der guten Luft, auch nicht zur Anbahnung erotischer Beziehungen, nicht einmal zum Schmieden beruflicher Intrigen. Sondern, weil man Zeitung lesen will. Und wenn einen jemand stört, indem er penetrant plaudern will, antwortet man auf die lästigste aller Plaudereieröffnungen, „Was gibt es Neues?“, lapidar: „Was in der Zeitung steht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2010)

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