Sanktionen wegen Alexej Nawalnys Inhaftierung würden den Kreml nicht ändern, sagt Politikexperte James M. Lindsay. US-Präsident Joe Biden werde eher mit Moskau zusammenarbeiten. Er habe nämlich woanders größere Probleme.
Die erwarteten Sanktionen im Konflikt um Alexej Nawalny werden nach Einschätzung des US-Außenpolitikexperten James M. Lindsay nur symbolische Wirkung haben. "Niemand macht sich Illusionen, dass diese Sanktionen etwas am Verhalten des Kreml ändern werden", sagte der Vizepräsident des "Council on Foreign Relations" im APA-Interview. China und der Klimawandel seien die Prioritäten des neuen US-Präsidenten Joe Biden, nicht Russland, ergänzte er.
Die USA werden wohl ein Schlaglicht auf das Thema Nawalny werfen und den Kreml kritisieren, sagte der angesehene Experte. Er könne sich auch Sanktionen gegen Moskau vorstellen. Man sei sich in Bidens Team aber "bewusst, dass die USA - so wie jeder andere Staat - nicht in der Position sind zu bestimmen, was innerhalb Russlands passiert". Auch denke er nicht, "dass die Biden-Regierung die Russland-Politik zur obersten Priorität machen wird". Vielmehr werde man danach trachten, in Fragen ähnlicher Interessen mit dem Kreml zusammenzuarbeiten.
Bidens wirklich große Probleme
"Wenn es nach Bidens Team geht, würde es sich auf China und den Klimawandel konzentrieren", betonte Lindsay. Bezüglich China sieht der Experte eine Fortsetzung der Politik Trumps, aber mit anderen Mitteln. Wie sein Vorgänger will auch Biden sich der aggressiven Politik Chinas entgegenstellen. "Der Unterschied zwischen Trump und Biden ist, dass Trump es allein machen wollte und auf die Handelsmacht gesetzt hat." Diese Politik habe aber nicht funktioniert. Biden werde stattdessen versuchen, mit asiatischen Staaten und auch den Europäern eine "gemeinsame Front aufzubauen". Dies sei freilich "leichter gesagt als getan".
Eine gewisse Kontinuität erkennt Lindsay auch in der Politik gegenüber den Krisengebieten des Mittleren Ostens. So wie Trump will nämlich auch Biden den "militärischen Fußabdruck" der USA etwa in Afghanistan verringern. Der Demokrat hoffe weiters, dass er nicht zu sehr von der Nahost-Politik in Anspruch genommen werde. So wolle Biden etwa auch die Erfolge Trumps in der Region "pflegen", sagte Lindsay mit Blick auf die Abraham Accords zwischen Israel und einer Reihe arabischer Staaten. Auch seien keine Zeichen erkennbar, dass Biden die umstrittenen Entscheidungen Trumps zu Jerusalem und den Golan-Höhen zurücknehmen könnte.
Abkühlung in den Unruheherden
Im komplexen Iran-Atomkonflikt brauche die neue Regierung noch Einarbeitungszeit, verwies Lindsay auf die ausständigen Bestätigung der Spitzenbeamten durch den US-Senat. "Das Team Bidens hofft in dieser Frage wie in anderen darauf, dass sich die Ereignisse günstig entwickeln werden und sie nicht zu einer Entscheidung gezwungen werden", sagte der Experte. Konkret hoffe man darauf, dass die Iraner freiwillig zum von Trump aufgekündigten Deal zurückkehren, weil die USA dann folgen könnten. Dies sei aber schwer zu erreichen, weil die Iraner nicht wirklich ein Interesse daran hätten. Dazu komme, dass die Iran-Politik in den USA innenpolitisch umstritten sei, auch innerhalb von Bidens Demokraten.
Grundsätzlich verfolge die Biden-Regierung das Ziel, das in den vergangenen Jahren durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Krisen ramponierte "amerikanische Versprechen" wieder herzustellen. Dies sei nämlich eine wesentliche Quelle der internationalen Macht der USA, betonte er. Auf globaler Ebene werde Biden danach trachten, die vielen Unruheherde in einem Umfeld wachsenden geopolitischen Wettbewerbs in Schach zu halten. "Wir hoffen, dass die USA eine solide und vernünftige diplomatische Strategie verfolgen kann, die die Temperatur in diesen Unruheherden senkt", sagte Lindsay mit Blick etwa auf den Iran, Nordkorea, China oder den Kaukasus.
(Apa)