Im Nationalrat stellten Neos und SPÖ am Donnerstag Anträge gegen ÖVP-Innenminister Nehammer. Die Grünen stimmten dagegen und vermeideten damit einen Koalitionsbruch. In den Umfragewerten aber stürzt die Partei ab: Sie rangieren nun hinter den Neos bei neun Prozent.
Die von der FPÖ einberufene Sondersitzung des Nationalrats wurde am Donnerstag zum erwarteten Schlagabtausch zwischen Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und der FPÖ, die einen Misstrauensantrag gegen Nehammer einbrachte. Mit Entschließungsanträgen zum humanitären Bleiberecht wurde die Grüne Koalitionsdisziplin von den Sozialdemokraten mit Anträgen zum humanitären Bleiberecht geprüft. Die Grüne Klubchefin Sigrid Maurer hatte ein Mitstimmen jedoch vorab ausgeschlossen. Vizekanzler Kogler reagierte auf den Konflikt inzwischen mit der Präsentation einer Kindeswohlkommission. Die Regierungsbank war während der Sitzung prominent gefüllt, allerdings nur mit ÖVP-Ministern.
Gleich zu Beginn wurde die Sondersitzung zum erwarteten Schlagabtausch zwischen Nehammer und seinem Vorgänger, FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl. Letzterer kündigte wegen des Corona-Demo-Verbots einen Misstrauensantrag an, der später auch eingebracht wurde. Der Minister attestierte Kickl hingegen gekränkte Eitelkeit und Frust.
Wortgefecht zwischen Nehammer und Kickl
Die Organisatoren der Demonstrationen nahm Kickl in Schutz. "Friedliebende Kritiker" würden verunglimpft und die Polizei aufgehetzt: Das Verbot sei ein "intellektueller, moralischer und demokratiepolitischer Offenbarungseid". Damit wolle die Regierung nur von ihrem Versagen ablenken. Als sinnlos wurden von Kickl unter anderem FFP2-Masken und die Art der PCR-Testung angeprangert sowie der Lockdown im Allgemeinen.
Nehammer sah diese Attacken der gekränkten Eitelkeit Kickls geschuldet, weil dieser aus dem Ministerium ausscheiden musste: "Frust und Wut sind auch schlechte Ratgeber in der Opposition." Dass man die Demos untersagt hatte, begründete der Innenminister mit gesundheitlichen Erwägungen. Dass es dafür Druck seitens der EU, des Bundespräsidenten oder des Bundeskanzlers gegeben habe, verneinte Nehammer.
Mehrfach wies der ÖVP-Ressortchef darauf hin, dass sich unter den Demonstranten Neonazis ebenso wie neue Rechtsradikale befunden hätten. Aus seiner Sicht wird die "unheilige Allianz" von Corona-Leugnern und der FPÖ auf dem Rücken jener anderen ausgetragen, die tatsächlich ihrer Sorge Ausdruck verleihen wollten.
Den Misstrauensantrag der FPÖ wird Nehammer wohl ebenso überstehen wie jenen, den der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried am Vormittag ankündigt hat. Unterstützung der Grünen erhielt der Ressortchef allerdings nicht, zumindest nicht persönlich. Die kleinere Regieurungspartei hatte keine MInister zur heutigen Sitzung entsandt, und das absichtlich, wie im Vorfeld seitens der Grünen zu hören war.
Rot-Pinke Entschließungsanträge zu Abschiebungen
Eine schwierige Aufgabe kam dem Grünen Abgeordneten Georg Bürstmayr zu. Der Anwalt verteidigte vor dem Plenum darum hauptsächlich die Untersagung der Corona-Demos, da man mit der Coronakrise einen Brand zu löschen habe und meinte: "Sollen wir deshalb für mehrere Wochen die Löscharbeiten einstellen und stattdessen in einen Wahlkampf ziehen?"
Deutlicher in seiner Kritik wurde der Grünen-Mandatar David Stögmüller, der eine breite Angriffsfront gegen Nehammer eröffnete. Nicht nur attestierte er dem Minister des Koalitionspartner "unmenschliche Kälte" wegen der Abschiebungen und warf ihm vor, um jeden Preis keine Menschlichkeit zeigen, auch das Vorgehen bei den Demos missfiel ihm. Denn ihn stört, dass die Corona-Maßnahmen-Gegner unbehelligt unmaskiert von der Polizei begleitet durch die Stadt ziehen konnten. Stögmüller vermutete ein Ablenkungsmanöver von den jüngsten Skandalen im BVT im Zusammenhang mit der Wirecard-Affäre.
Die zwei Entschließungsanträge der SPÖ hatten zum Ziel, die Mädchen zurückzuholen sowie das humanitäre Bleiberecht mit Mitsprache der Länder neu aufzustellen. Auch die Neos brachten einen Antrag ein, der Nehammer aufforderte, den Antrag der Mädchen auf Bleiberecht unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls ehestmöglich zu prüfen.
"Österreich braucht keinen Innenminister, der die Gesellschaft spaltet und die Bürger verunsichert sondern einen der für Zusammenhalt in Österreich sorgt", meinte Leichtfried, der von "unfassbaren Szenen" bei der Abschiebung der georgischen und armenischen Familien sprach. Mit dieser "spektakulären Aktion" habe Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nur von Verfehlungen in der Corona-Politik ablenken wollen. Nehammer wiederum habe nicht nur in diesem Fall, sondern auch in Sachen Moria versagt. Dazu kämen noch die Verfehlungen im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, speziell im Vorfeld des Terroranschlags in der Wiener Innenstadt. Mit Ex-Ressortchef Herbert Kickl liefere sich Nehammer einen fast schon skurrilen Kampf, wer der schlechteste Innenminister der Zweiten Republik sei. Es sei höchst an der Zeit, dass er zurücktrete.
"Was wir hier erleben, hat ein bisschen was von einer Therapiesitzung", verwies wiederum Nikolaus Scherak von den Neos auf die Tatsache, dass ÖVP und FPÖ noch vor kurzem eine Regierung bildeten. Dieser "Bruderzwist" werde nun im Nationalrat aufgearbeitet. Auch Scherak sprach sich für die bedingungslose Versammlungsfreiheit - "so etwas wie die Mutter der Grundrechte" - aus, denn: "In einer pluralistischen Gesellschaft muss jeder das Recht haben, seine Meinung zu äußern." Dies bestimme nicht die ÖVP, sondern die Verfassung.
Umfrage zeigt Zuspruch der Bevölkerung
Eine Umfrage von Research Affairs, die am Donnerstag die Tageszeitung "Österreich" veröffentlichte, zeigt inzwischen, dass eine deutliche Mehrheit der Österreicher die Abschiebung der drei Mädchen befürwortet. 30 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Vorgehensweise von Innenminister Nehammer "vollkommen richtig" war. 28 Prozent finden die Abschiebung grundsätzlich richtig, fanden aber das Vorgehen der Polizei überzogen. Insgesamt sind demnach 58 Prozent mit der Abschiebung der drei Mädchen einverstanden. Nur 42 Prozent fanden es falsch, die Abschiebung durchzuführen. Noch deutlicher ist die Mehrheit bei der Frage, ob das Asyl- und Fremdenrecht in Österreich gelockert werden soll. 76 Prozent beantworten das mit Nein. Nur 24 Prozent sind für eine Lockerung des Asyl- und Fremdenrechts.
In der Sonntagsfrage wirkt sich die Debatte um die Abschiebungen insbesondere auf die Grünen aus. Die ÖVP bleibt mit 39 Prozent weiterhin klar auf Platz 1. Die SPÖ erreicht 24 Prozent, die FPÖ kommt nur noch auf 15 Prozent (-1). Die Grünen fallen erstmals hinter die Neos zurück und liegen damit nur noch auf Platz 5. Die Neos kommen auf zehn Prozent, (+1), die Grünen auf 9 Prozent.
(APA/Red.)