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Jenseits von Propaganda: Die besten Filme über das echte China auf Netflix, Amazon & Co.

Anlässlich des KP-Parteijubiläums sind Kinos in China verpflichtet, regelmäßig Propaganda zu zeigen. Dabei gibt es viele tolle chinesische wie ausländische Filme, die ein differenziertes Bild des Landes zeichnen.

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Filme von Jia Zhang-ke

Ein Chronist der Modernisierung

Wer ein Gefühl dafür bekommen will, wie sich Chinas Dauermodernisierung auf die Bevölkerung auswirkt, kommt an den Filmen Jia Zhang-kes nicht vorbei. Schon seit den 1990ern kontrastiert der heute 50-Jährige in seinen zwischen Stimmungsgemälde und Realitätsporträt angesiedelten Arbeiten die Lebens- und Sehnsuchtswelten Einzelner mit den drastischen Umwälzungen des Wirtschaftsbooms. Und zwar von den Rändern her: Viele von Jias Filmen spielen in seinem Geburtsort Fenyang, handeln vom Streben und Scheitern gewöhnlicher Menschen, gesprochen wird meist im lokalen Dialekt. Schon sein Langfilmdebüt „Xiao Wu“ („Pickpocket“, Mubi) war ein Meilenstein: Ungeschönt, aber voller Poesie erzählt es aus dem Alltag eines Taschendiebs, der sich mehr schlecht als recht durchs Kleinstadtdasein wurstelt.

Damals noch im Clinch mit der Zensur, hat sich Jia inzwischen mit den Behörden arrangiert. Doch sein kritischer Blick bleibt intakt. Auch in jüngeren Arbeiten wie der Dokufiktion „24 City“ (Mubi), die die Nachwehen einer Fabrikschließung verzeichnet.

Weitere Werke, etwa das Shanghai-Geschichtsbild „I Wish I Knew“ und das zum Teil schon in die Zukunft blickende Drama „Mountains May Depart“, finden sich auf der Videoplattform Sooner.

The Golden Era

Schriftstellerbiografie von Ann Hui, 2014
Zu sehen auf Netflix

Schon lange vor dem laufenden Polit-Durchgriff Chinas in Hongkong kooperierte die Filmindustrie der Ex-Kronkolonie mit dem Festland. Schließlich lockte dort ein lukrativer Markt. Doch trotz unabdingbarer Kompromisse und Konzessionen gelang es arrivierten HK-Autorenfilmern oft, ihre persönliche Handschrift zu wahren – und Hurrapatriotismus zu umschiffen. Veteranin Ann Hui etwa versetzte ihr kunstvoll verzweigtes Epos über die legendäre Dichterin Xiao Hong, eine Zentralfigur linker Widerstandsliteratur vor der Revolution, mit einer gehörigen Dosis Melancholie: Am Ende ist alles vergänglich. In der Hauptrolle brilliert Tang Wei, die nach Sexszenen in Ang Lees „Lust, Caution“ (2007) temporär bei den chinesischen Autoritäten in Ungnade fiel.

Filme von Wang Bing

Retter verlorener Zeitgeschichte
Zu sehen auf DAfilms

Mit dem Begriff „Spurensammler“ wird man Wang Bing nicht wirklich gerecht. Eigentlich archiviert er Abdrücke verdrängter Existenzen. Wangs ausufernde Dokumentarfilme, die meist Chinas Schattenseiten erkunden, lassen sich rückhaltlos auf Menschen und ihre Lebensumstände ein, hören zu, ohne zu unterbrechen – und dauern oft stundenlang. Am Stück würde man ein Monumentalwerk wie „Dead Souls“ (2018), das Überlebende kommunistischer Umerziehungslager aus den 1950ern rückblickend von ihren bestürzenden Erfahrungen berichten lässt, aber ohnehin nicht aushalten. Kürzer und kaum weniger eindringlich: Der Erinnerungsfilm „Fengming, A Chinese Memoir“ (2007).

Drug War

Actionthriller von Johnnie To, 2012
Zu sehen auf Amazon

Auch Johnnie To, Großmeister anspruchsvoller, formvollendeter Actionunterhaltung aus Hongkong, wagte sich 2012 aufs Festland. Und nahm sich spornstreichs eines heiklen Themas an. „Drug War“ folgt im Grunde den Bestrebungen eines durchtriebenen Drogenhändlers, seine unter chinesischer Gesetzgebung zum Tode verurteilte Haut zu retten, indem er sich auf ein von To gewohnt virtuos choreografiertes Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei einlässt. Der wendige Verbrecher wird von Tos Stammstar Louis Koo verkörpert, und obwohl er am Ende – Achtung, Spoiler! – seiner „gerechten“ Strafe zugeführt wird, ist seine Verzweiflung stets so stark spürbar, dass sie die vordergründige Botschaft in Zweifel zieht.

Double Happiness

Doku von Ella Raidel über Hallstatt in Guangdong, 2014
Zu sehen im Kino VOD Club (4,90€)

Kein heimischer Filmemacher hat sich so oft und intensiv mit der chinesischen Gesellschaft und ihren unablässigen Transformationen beschäftigt wie die gebürtige Gmundnerin Ella Raidel. In ihren Essayfilmen spürt sie klug und vorurteilsfrei chinesischen Mentalitäten nach, ohne Missstände auszublenden. Musterbeispiel: „Double Happiness“, der sich dem Reich der Mitte von Hallstatt aus nähert, das 2012 in der Nähe von Shenzhen detailgetreu nachgebaut wurde. Statt sich über das Kuriosum zu mokieren, nähert sich Raidel der Kopie aus unterschiedlichen Perspektiven. Und zeigt auf, wie im Zeitalter globalisierter Abhängigkeiten jede Projektionsfläche doppelte Böden hat.
Das Seedorf ist auch in China nur Kitsch, der einer gut betuchten Klientel mit rührseliger Werbung verkauft werden will, und das oberösterreichische Hotel lässt sich seine Möbel „drüben“ nachfertigen, weil die Qualität entgegen allen Klischees stimmt. Indessen räsoniert ein Unternehmer über den Begriff der Originalität (überschätzt!) und ein Architekt über den Fantasiemangel seiner Zunft.

Ebenfalls auf der Austro-Plattform Kino VOD Club: Die Doku „China Reverse“, über Sino-Migranten in Wien.

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